Hallo liebes Forum,
ich habe mich jetzt doch dazu entschieden mal etwas persönlicher zu werden. Ermutigt dazu wurde ich durch die zahlreichen Beiträge all jener, die so bereitwillig und offen über ihre Sucht schreiben. Ich finde das wirklich sehr mutig und ihr alle verdient meine größte Anerkennung.
Es gibt Erinnerungen in meinem zugegeben noch recht jungen Leben, die ich so leicht nicht los werden kann. Meine Mutter ist alkoholabhängig, obwohl ich nicht mal genau weiß, ob das das richtige Wort dafür ist. Ich habe mich ehrlich gesagt nie getraut diesen "Zustand" klar zu definieren. Klar ist jedenfalls, dass Alkohol bei uns immer eine große Rolle gespielt hat. Es wurde eher Wein gekauft vom letzten Geld als Brot, die Stimmung meiner Mutter war immer erst ausgelassen fröhlich, kurz danach war sie wütend und aggressiv und letztendlich sentimental und depressiv. Ein ständiges auf und ab der Gefühle und jeden Tag ein neues Drama, so ungefähr verlief die meiste Zeit meiner Jugend. Manchmal ist meine Mutter tagelang von zu Hause verschwunden, hat uns drei Kinder alleine gelassen und sich permanent wechselnden Männerbekanntschaften hingegeben.
Wir haben selbstverständlich alles dafür getan, das Verhalten unserer Mutter geheim zu halten. Aus Selbstschutz und natürlich auch aus Scham. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut in der Schule, habe oft geschwänzt um bei meinem kleinen Bruder zu sein, weil meine Mutter aus ihrem Vollrausch nicht aufwachen wollte. Ich hatte so gut wie keine Freunde, konnte niemanden zu mir nach Hause einladen und war ziemlich schnell ziemlich einsam. Zu meinem eigenen Ärger habe ich meine Mutter aber wahnsinnig geliebt und wollte ihr helfen. So gut ich eben konnte mit 12 Jahren. Ich habe mich um den Haushalt und die Wäsche gekümmert, habe meinen kleinen Bruder versorgt und eingekauft und natürlich alles dafür getan, dass meine Mutter ihren Job nicht verliert. Ich habe sie am Telefon entschuldigt, wenn die Kollegen anrief und gesagt, sie sei sehr krank und könne nicht arbeiten kommen. Später bin ich dann einfach zu ihren Putzjobs hingegangen und hab ihre Arbeit erledigt anstatt zur Schule zu gehen.
Ich war schrecklich verzweifelt und wahnsinnig froh, als ich mit 17 endlich ausziehen durfte. Ich dachte all meine Probleme würden sich in Luft auflösen. Aber meine Mutter hat mich leider dennoch regelmäßig im Rausch angerufen, mich beschimpft und mich beschuldigt ich hätte ihr Leben zerstört. Ich habe mir trotzdem weiter Sorgen um meinen kleinen Bruder gemacht, der immernoch bei ihr lebt. Und irgendwie sind die Jahre vergangen... heute habe ich ein relativ entspanntes Verhältnis zu meiner Mutter. Sie kommt mich oft besuchen, wir telefonieren öfter, sie ist eine tolle Oma für meinen Sohn. Ich weiß nicht, ob sie noch trinkt. Wir schweigen über dieses Thema. Ich habe sie immernoch sehr gern und meine Wut über all die Sachen ist verflogen. Aber dennoch werde ich oft von diesen Erinnerungen geplagt und ich ertappe mich dabei, dass ich gegenüber Menschen die trinken vorschnell urteile. Ich rede dabei über einen völlig "normalen" Konsum von Alkohol. Ein paar Bier auf einer Geburtstagsfeier, ein Glas Wein zu einem guten Essen... das alles fällt mir schwer zu akzeptieren. Im Grunde weiß ich, dass nicht jeder der trinkt so ist wie meine Mutter. Und sicher weiß ich, es ist eine Krankheit. Aber mein Herz begreift es noch nicht. Und so muss ich mich immer wieder zur Ordnung rufen.
Ich habe so viele Fragen, die ich meiner Mutter nicht stellen kann. Aus Angst unsere Beziehung endgültig zu zerstören.
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.
Liebe Grüße,
Eure Casi