von Konzentrat » Di. 06.12.2011, 13:06
Natürlich gibt's Menschen, die Borderline haben, und mit denen man gut klar kommt!
Das, was typischerweise in allen Lehrbüchern als Zusammenfassung und auch im Internet immer wieder zu finden ist, wiedergekäut wird, stellt sozusagen den Lehrbuch-Borderliner dar. Den gibt's so aber gar nicht.
Borderline ist keine schwammige Diagnose in dem Sinn, wie man das oft hört. Es ist relativ klar abgrenzbar, ein genaues Bild für die Differentialdiagnostik ist sehr wohl vorhanden. Aber da von den 9 Diagnose-Kriterien nur mindestens 5 erfüllt sein müssen, gibt es unheimlich viele Subgruppen und Kombinantionen aus diesen Kriterien, dh Borderliner sind sehr verschieden, das ist keine Patientengruppe, die so und so ist, sondern Borderline ist eine Erkrankung mit einem ganz breiten Spektrum an Erscheinungsbildern. Dazu kommen unterschiedliche Schweregrade, therapierte und untherapierte/unbehandelte Borderliner und Komorbiditäten.
Die Diagnose ist BESCHREIBEND, also, egal, wodurch Borderline ausgelöst wurde, alle kriegen die gleiche Diagnose Borderline, einfach aufgrund ihrer Symptomatik. Die Unterschiede in den Personen werden dabei nicht berücksichtigt.
Borderliner pemanent als verrückte, unberechenbare Psycho-Freaks und Monster hinzustellen, ist der Trend im Internet, in den Medienen und war es auch ganz lange in der Medizin und Wissenschaft. Teilweise wird das heute noch so gemacht.
Auf die Unterschiede verweist kaum ein Therapeut, auf die unterschiedlichen Stadien, auf die Auswirkung von Begleiterkrankungen. Dass ein Borderliner mit und ohne Alkoholmissbrauch zwei verschiedene Paar Schuhe sind, liest man nie, ist aber so.
Es gibt Borderliner, die sehr liebe, nette Menschen sind, die beziehungsfähig sind, die gute Eltern sind, die in dem Sinn nicht ausrasten, sondern wo das innerhalb einer Partnerschaft halt noch geht, weil eine gute Beziehung da ist, die tragfähig ist und schon von daher gar nicht soviel Stress entstehen lässt.
Es gibt auch viele Borderliner, die sehr fürsorgliche und sensible Eltern sind, eben, weil sie vielleicht selber eine schlimme und unschöne Kindheit hatten und dann sehr peinlich drauf achten, dass sie ihren Kindern gerecht werden und sich dieses eigene Schicksal an den Kindern nicht wiederholt.
Es gibt Borderliner, die sind regelrecht für ihre Umgebung "Monster". Aber man muss halt auch wissen, dass ein Großteil dieser Menschen schwer traumatisiert ist und ohne eine geeignete Traumatherapie gar keine Chance hat, an sich selbst was zu ändern.
Und solange unser psychotherapeutisches und psychiatrisches Versorgungssystem so ausgestaltet ist, wie es ist, werden die meisten dieser Menschen keine geeignete medizinische Betreuung und Therapiemöglichkeit erhalten. Und damit werden diese Menschen gezwungen sein, das, was man ihnen selber einst angetan hat, an anderen zu wiederholen.
Wenn Borderliner korrekt und frühzeitig und ausreichend therapiert werden, werden aus ihnen ganz oft sehr wertvolle Menschen, weil sie generell hilfsbereit sind, sensibel sind, sich in andere einfühlen können usw...
Es ist nicht die Schuld der Borderliner, dass man ihnen zu wenige Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stellt, dass es zu wenige geschulte und fähige Traumatherapeuten gibt, sondern die Schuld der Gesellschaft und der Professionellen, die sich hierfür nicht interessieren und diese Menschen gnadenlos im Stich lassen. Weiterbildung und Fortbildungen werden häufig gescheut, macht zuviel Arbeit, kostet Geld, man will sein Geld als Therapeut mit einfacheren Fällen verdienen oder doktert ohne eine vernünftige Spezialausbildung zu Borderline an schwerkranken Menschen auf gut Glück rum.
In keinem Bereich der Medizin würde sowas längerfristig möglich sein, in Bezug auf Borderline ist das leider immer noch die Regel. Nur jeder 1000. Borderline-Patient bekommt eine adäquate Therapie. Das ist doch eine unglaubliche Riesenschande für so ein reiches Land.