Ich trage schwere Schuld.

In diesem Unterforum könnt Ihr Euch zum Thema Suizid (Selbstmord) und Tod austauschen, sowie der Trauer, die ein (Frei-)Tod hinterlässt.
Wichtig: Ihr könnt und dürft hier über Eure Suizidgedanken sprechen, allerdings sind konkrete Absichten bzw. Ankündigungen hier nicht erlaubt bzw. können evtl. an die Behörden weitergeleitet werden!

Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon Sorgenkind » Do. 10.11.2016, 22:33

Ein Freund von mir hat sich kürzlich das Leben genommen. Ich hatte ihn seit fast 2 Jahren nicht mehr gesehen. wir hatten damals einen unnötigen Streit.... Anfang des Jahres wollte ich unsere Freundschaft wiederbeleben, weil er mir fehlte, aber er ging nicht darauf ein. Ich hab mich immer bei gemeinsamen Freunden informiert, wie es ihm so geht, aber ließ ihn in Ruhe, weil ich Angst vor weiterer Ablehnung hatte. Hätte ich mehr um ihn gekämpft, hätte ich gewusst, wie schlecht es ihm ging. Wir waren sogar zur selben Zeit in der Psychiatrie, leider nicht im selben Stadtteil. Mir ist klar, dass es seine Entscheidung war. Aber ich weiß genau, dass es niemals soweit gekommen wäre, wenn ich für ihn da gewesen wäre und nun weiß ich nicht, wie ich mit dieser Schuld umgehen soll.
Ich habe gemerkt: Das Wunder, auf das ich solange gewartet habe, bin ich selbst.

(Zitat einer schwedischen Schriftstellerin)
Sorgenkind
Vielschreiber
 
Beiträge: 104
Registriert: Fr. 03.06.2016, 23:18

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon Mäuschen » Do. 10.11.2016, 23:13

Nein! Du hast definitiv keine Schuld daran!!! Es kann sein, dass es dann anders gekommen wäre... Das wissen wir aber nicht und werden es auch nie erfahren. Und von daher macht es keinen Sinn, wenn du dir Schuld einredest. Denn du hast keine Schuld daran! Jeder trifft seine Entscheidung alleine und da ist niemand anderes Schuld daran. Auch nicht du! :cuddle:

Vielleicht hätte es dir auch gar nicht gut getan zu wissen, wie es ihm wirklich geht, weil du dann erpressbar von ihm gewesen wärst...
Mäuschen
Vielschreiber
 
Beiträge: 373
Registriert: So. 14.02.2016, 18:54

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon Sorgenkind » Do. 10.11.2016, 23:24

Ich danke dir sehr für deine Antwort. Ich weiß auch, dass du recht hast. Aber eine Sache weiß ich ganz sicher, dass er niemanden erspresst hätte. Er war einer der besten Menschen dieser Welt. Einer, der Schnecken vom Fußgängerweg in ein Gebüsch bringt, damit sie nicht zertrampelt werden. Ich habe selten einen herzlichen und hilfsbereiten Menschen wie ihn erlebt. Dass wir damals Streit hatten, lag allein an meiner Unfähigkeit Beziehungen jeglicher Art zu führen. Ein blödes Missverständnis, wie sich im Nachhinein herausstellte. Deswegen ging ich ja den Schritt auf ihn zu, worauf er nicht mehr reagiertte. Verständlich, nach meinem dämlichen Verhalten. Und nun ist er auf einmal nicht mehr da und werde mich niemals mit ihm versöhnen. ich muss es irgendwie verarbeiten und akzeptieren, dass er diese Entscheidung getroffen hat. Nur weiß ich leider noch nicht genau, wie...
Ich habe gemerkt: Das Wunder, auf das ich solange gewartet habe, bin ich selbst.

(Zitat einer schwedischen Schriftstellerin)
Sorgenkind
Vielschreiber
 
Beiträge: 104
Registriert: Fr. 03.06.2016, 23:18

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon loner » Fr. 11.11.2016, 18:19

Hallo Sorgenkind,

Das ist wirklich schrecklich :( ! Fühl dich ganz arg gedrückt von mir :troest: :cuddle:
Vielleicht hilft es dir, ihm einen Brief zu schreiben, den du danach verbrennst. Da kannst du alles reinschreiben, was du wünschst ihm zu sagen. Oder du gehst zu seinem Grab und liest ihm den Brief dann vor ... Das wird sehr viele Gefühle hervorbringen, aber vielleicht hast du dann mehr das Gefühl, das er dich hört und du kannst besser Abschied nehmen.
Ich kenne es sehr gut, dass man sich Freunde durch eine blöde Sache vergrault und die dann von einem nichts mehr wissen wollen. So geht es mir auch... Die Person reagierte bisher auf keine meiner Kontaktversuche, wie oft ich mich auch entschuldigte, es kam nie eine Antwort. Ich denke, manchmal ist man einfach so gekränkt, dass man sich in die Richtung einfach nicht mehr öffnen will. So geht es mir selbst auch oft und ich weiß, wie unfair es ist, wenn man dann so hart jemand anderem gegenüber ist. Aber so sind Gefühle nunmal. Man will vielleicht nicht verletzt werden oder kann noch nicht so leicht verzeihen. Deinem Freund ging es sehr schlecht, und er war einfach noch nicht bereit dazu, sich wieder mit dir zu versöhnen, weil er ganz andere Probleme hatte, die ganz unabhängig von dir und eurem Streit waren. Ich selbst habe schon so oft an Suizid gedacht, ich habe mir schon Methoden ausgedacht, doch ich habe es nie getan. Damit will ich sagen, wenn man den Schritt wirklich geht, dann muss man wirklich sehr entschlossen sein und lässt sich wahrscheinlich durch nichts mehr abhalten. Ich glaube nicht, dass du so viel hättest tun können. Sein Leid war einfach zu groß, als das man da hätte 'so leicht' drauf Einfluss nehmen können. Wer sagt denn auch, dass wenn ihr euch wieder angenähert hättet, er gewagt hätte, mit dir darüber zu sprechen? Ich kann selbst mit meinen engsten Beziehungen nicht über meine emotionalen Abgründe und Tiefen sprechen. Wenn es mir schlecht geht, dann denke ich ja oft sogar, die anderen wären besser dran ohne mich. Nichts kann mich dann erheitern. Oder schlimmer, eine vage Aussage, die durchaus ernst ist, wird gar nicht als solche wahrgenommen.

Liebe Grüße
loner
Wie einfach wäre das Leben, wenn sich die unnötigen Sorgen von den echten unterscheiden ließen. (Karl Heinrich Waggerl)
loner
Moderator
 
Beiträge: 953
Registriert: Mi. 25.05.2016, 11:37

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon Sorgenkind » Di. 15.11.2016, 09:31

Liebe loner,
ich danke dir sehr für deine Nachricht und dein Mitgefühl. Das mit dem Brief ist eine sehr schöne Idee. Ich habe sogar schon damit angefangen. Es ist gar nicht so leicht, die richtigen Worte zu finden. Ich habe mir nie viele Gedanken um den Tod gemacht. Natürlich habe ich mir gelegentlich vorgestellt, wie es wäre, nicht mehr zu leben und wie ich es machen würde... aber es war doch immer mehr theoretisch. Ernsthaft würde ich diesen Schritt nicht in Erwägung ziehen.

In dem Moment, wo ein Mensch entscheidet nicht mehr leben zu wollen, kann ihn wohl tatsächlich nichts mehr davon abbringen. Ich habe nun erfahren, dass es der 3. Versuch von ihm war. Nur glaube ich, dass man mit zwischenmenschlicher Zuneigung solche akuten Phasen verhindern kann. Ich denke, dass es nur "schwache" Momente von ihm waren, in denen er keinen anderen Ausweg sah, die auch wieder verflogen wären, wenn er Liebe oder wenigstens berufliche Anerkennung erfahren hätte. Wenn alles auf ganzer Linie schief läuft, begünstigt das wohl die lebensmüden Gedanken und lässt die Hemmschwelle sinken. Außerdem weiß ich genau, dass er sich niemals von einer Brücke gestürzt oder die Pulsadern aufgeschnitten hätte. Er hatte vorher noch Pläne geschmiedet, dass er vorübergehend bei einem Freund einzieht. Ich befürchte, dass es eine Kurzschlusshandlung war und er sehr spontan eine Überdosis seiner Antidepressiva eingenommen hat. Er lag noch 5 Tage auf der Intensivstation, wie ich nun erfahren habe. Ich habe es rekonstruiert. Genau an dem Tag, als er die Tabletten geschluckt haben muss, habe ich mich das erste Mal nach 14 Jahren selbst verletzt. Ich war da wie fremdgesteuert... wollte eigentlich nur einen Salat zubereiten doch mich überkam ein unerträglicher Schmerz, dem ich dann mit 4 Kratzern in den Arm etwas abwenden konnte. Das war an dem Montag, an dem er die Tabletten einnahm. Das war eine ganz merkwürdige Situation. Ich fühlte mich unfassbar schlecht, bis ich am Freitag zu Freunden ging und von meiner Not berichtet hatte. Dadurch ging es mir besser und er starb... wird wohl Zufall sein, aber trotzdem fragt man sich da, ob es sowas wie Seelenverwandtschaft geben könnte.

Weißt du, es tut mir sehr leid für dich, dass du ähnliche Bindungsprobleme hast. Dennoch ist es beruhigend, nicht die einzige zu sein. Letztendlich müssen wir uns klar machen, dass es die Krankheit ist und nicht wir... und rechtzeitig intervenieren. Das ist das, was ich aus dieser Sache unbedingt mitnehmen will. Das Leben ist viel zu kurz für sinnlose Streitigkeiten. Wenn man ein Problem mit jemanden hat, der einem wichtig ist, sollte man sich dem annehmen und es so gut es geht benennen, um Lösungen zu finden. Mein verstorbener Freund war ein kleiner Weltverbesserer. Das ganze Leid und Elend der Menschheit hatte Platz in seinem Herzen. Mir ist nun wichtig in seinem Sinne weiterzuleben, Gutes zu tun. Auch wenn ich keine Steine bewegen kann, es fängt im Kleinen an. Nächstenliebe.
Ich habe gemerkt: Das Wunder, auf das ich solange gewartet habe, bin ich selbst.

(Zitat einer schwedischen Schriftstellerin)
Sorgenkind
Vielschreiber
 
Beiträge: 104
Registriert: Fr. 03.06.2016, 23:18

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon Ruby » Mi. 16.11.2016, 18:03

Hallo Sorgenkind,
ich kann mir in etwa vorstellen, wie schlimm das für Dich ist, auch, dass Du Dir nun Selbstvorwürfe machst und Dich fragst, ob Du daran etwas hättest ändern können. Etwas ähnliches habe ich vor sechs Jahren erlebt.

Damals hatte ich eine gute Freundin, die öfters von Suizid sprach. Als sie dann mal längere Zeit nicht mehr erreichbar war und sie von niemanden mehr gesehen wurde und sie auch nicht mehr auf Nachrichten ihres Anrufbeantworters reagierte, bekam ich Panik und rief ihre Therapeutin an, der ich dann erzählte, dass ich befürchtete, sie könnte sich was angetan haben. Die Therapeutin rief nach vergeblichen Kontaktversuchen sofort die Polizei an, die dann ihre Wohnungstür aufbrachen. Schlussendlich war es aber eine Fehlanzeige. Denn meine Freundin hielt sich lediglich für mehrere Wochen in München auf, ohne jemanden von uns vorher was zu erzählen. Niemand wusste Bescheid. Aufgrund dieses Vorfalls mit der Polizei brach meine Freundin die Freundschaft mit mir. Ich würde ihr sowieso nur Ärger bereiten, meinte sie. Ein halbes Jahr später erfuhr ich, dass sie sich umgebracht hat. Leider habe ich es nicht geschafft, sie von einem Suizid abzuhalten. Lange Zeit habe ich mir daraufhin ebenfalls Selbstvorwürfe gemacht. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob es denn wirklich keine Möglichkeit für mich gab, ihren Tod zu verhindern. Eigentlich frag ich mich das auch heute noch. Hab ich damals wirklich alles getan, um ihr zu helfen? Das Thema triggert mich auch heute noch mehr, als mir lieb ist.

Wahrscheinlich hätten wir es nicht verhindern können, liebes Sorgenkind. Zumal Du ja auch glaubst, dass es eine Kurzschlusshandlung war. Wie hättest Du das verhindern können?

Ich finde es schön, dass Du in seinem Sinne weiterleben willst und so das Gute von ihm weiter trägst. Ein Stück weit wird er so in Dir weiterleben. Aber vergiss bei alledem dennoch nie Dich dabei. Ich wünsche Dir viel Kraft für die nächste Zeit. Ich denke an Dich.

Ganz lieben Gruß
Ruby
"Wenn Dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus."
"If you change nothing, nothing will change!"
Benutzeravatar
Ruby
Moderator
 
Beiträge: 921
Registriert: Sa. 23.01.2016, 08:11
Wohnort: Landkreis Aurich

Re: Ich trage schwere Schuld.

Beitragvon loner » Mi. 16.11.2016, 20:09

Das trifft es wirklich wunderbar...
Ruby hat geschrieben:Ich finde es schön, dass Du in seinem Sinne weiterleben willst und so das Gute von ihm weiter trägst. Ein Stück weit wird er so in Dir weiterleben. Aber vergiss bei alledem dennoch nie Dich dabei.


Weißt du, ich glaube schon an sowas wie Seelenverwandtschaft. Darüber habe ich auch schon mit meinem Mann gesprochen (für den ich so etwas nicht empfinde... aber bei meinem Exfreund war es so, eine sehr sehr starke Bindung). Mein Mann meinte sowas gäbe es für ihn nicht. Nun, vielleicht glaubt man auch nur dran, wenn man es selbst mal erlebt hat. Und ich weiß, dass es Bänder gibt, die bestimmte Menschen stärker verbinden als andere. Vielleicht gab es auf einer weiteren Ebene so etwas bei euch auch und du hast es irgendwie gespürt. Egal was dich da zu dem gebracht hat, was du dir angetan hast, ich möchte dir sagen, dass ich dich verstehe. Ich kenne auch das Gefühl danach, wenn man sich sehr schämt dafür "rückfällig" geworden zu sein. Ich fühle auf jeden Fall mit dir, möchte ich sagen. Ich hoffe, dir geht es bald besser.

Ja, und wenn es auch sein dritter Versuch schon war, dann hättest du ihn vielleicht dieses Mal davon abhalten können, aber seine Situation hätte sich ja nicht langfristig gebessert. Es kommen immer wieder und wieder diese Momente und du hättest ja auch nicht Tag und Nacht auf ihn "aufpassen" können.... Vielleicht darf man darauf jetzt auch ncht so viel herumdenken, sondern das beste und schönste ist, wie du sagst, in seinem Sinne weiterleben. Frag dich einfach, was er wohl gewollt hätte, wenn er dich jetzt sieht.

Liebe Grüße
loner
Wie einfach wäre das Leben, wenn sich die unnötigen Sorgen von den echten unterscheiden ließen. (Karl Heinrich Waggerl)
loner
Moderator
 
Beiträge: 953
Registriert: Mi. 25.05.2016, 11:37


Zurück zu Suizid, Tod und Trauer

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste

cron