Leistung erbringen: Sofort! (über Arbeitslosigkeit)

Für die Philosophen und Debattanten unter uns - hier könnt Ihr über Gott und die Welt oder den (Un-)Sinn des Lebens philosophieren ;)
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Leistung erbringen: Sofort! (über Arbeitslosigkeit)

Beitragvon Svea » Do. 07.11.2013, 18:04

Guten Tag, guten Abend,

so denn Schnauze auf, hier mal meine Gedanken.

Tagtäglich muss ich mir anhören, wie sinnlos das Leben eines Menschen ist, wenn dieser mal keine Arbeit hat.
Wie weniger wertvoll das Leben erscheint, wenn man keine Leistung erbringt.

Ich bin jetzt etwas über einen Monat arbeitslos und kann mich vor solch derartigen vernichtenden Diskussionen gar nicht mehr retten. Sätze wie: Du machst doch gar nichts (abwertender Blick), oder das Gegenpardon mit Fragen wie: Was machst du heute? alla Facebookgeneration!

Immer und überall dasein, immer was tun, immer in Bewegung bleiben, immer arbeiten.

Ich finde es wirklich erschreckend, dass man sich für alles rechtfertigen muss. Sogar für seine eigene Freizeitgestaltung. Sogar vor Menschen, die nicht ansatzweise mal das Leben draußen zu spüren bekommen haben und nicht ansatzweise mal sich profilieren mussten.

Was ist denn bitte schön so verwerflich, wenn man arbeitslos ist? Arbeitslos, also man hat keine Arbeit, also auch kein Leben? Ist man Lebenslos, Zeitlos?
Wenn allein die Arbeit das Leben eines Menschen bestimmt, gar seinen Wert für die Gesellschaft, sorry aber da schalte ich mich aus. Denn in so einer Meritokratie möchte ich echt nicht leben wollen. Ein Mensch ist für mich viel mehr wert als seine 10 stündige Arbeit, sein Gehalt oder seine Liebesbeziehung.....

Wieso darf man in der heutigen Zeit nicht in den Tag hineinleben, tun was in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen ist.....einfach mal lesen, zeichnen, kreativ sein, yoga praktizieren.....und auch mal Langweile verspüren?

Blöd ist natürlich, wenn man seine gewonnene Freizeit auf Kosten von anderen realisiert. Dennoch kann es jedem passieren, dass er seine Arbeit verliert, und man muss sich dafür nicht schämen.....

So nun zu euch, ich würde es echt cool finden, wenn sich paar zu Wort melden würden.

Welche Erfahrungen habt ihr machen können?

Vielleicht seid ihr nun selbst ohne Arbeit und wertet euch ab. Oder vielleicht seid ihr bald fertig mit der Schule und habt panische Angst vor der Zukunft oder ihr seid einfach total gediegen, raucht weed und zeigt der Leistungsgesellschaft den Stinkefinger.

lg
Svea
 

Re: Leistung erbringen: Sofort! (über Arbeitslosigkeit)

Beitragvon Charlotte » Do. 07.11.2013, 18:29

Ich bin zwar nicht gediegen und auch das Weed ist nicht so meines, aber ich bin im Moment überhaupt nicht in der Lage zu arbeiten, dementsprechend auch krank geschrieben, obwohl ich keine Anstellung habe. Aber selbst meine Familie hat einige Monate gebraucht, ehe sie begriffen hatten, dass ich meilenweit entfernt bin von Arbeit. Und wenn Ärzte und Therapeuten mit meiner beruflichen Zukunft anfangen, habe ich mir mittlerweile angewöhnt zu antworten: Überzeugen Sie mich erstmal vom Leben und dann reden wir noch lange nicht über Arbeit.

Ich finde es ebenso schade, dass eine derartige Abwertung gegenüber Arbeitslosen stattfindet. Übrigens genauso wenn man Hausfrau und Mutter ist. Meistens wird mit beidem ein äußerst entspannter, nahezu fauler Alltag assoziiert. Dabei gibt es wohl kaum einen härteren Job als Hausfrau und Mutter zu sein. Und auch die Arbeitslosigkeit kann ein Full time-Job sein, wenn man bedenkt, was das Arbeitsamt einem für Auflagen auferlegt.

Mittlerweile ist mir auch aufgegangen, dass es mir jetzt vielleicht wesentlich besser ginge, wenn ich nach dem Abitur nicht den Druck von meinen Eltern bekommen hätte, sofort ein Studium oder eine Ausbildung beginnen zu müssen. Ich war komplett planlos, was ich überhaupt machen wollte und dann letztendlich das erstbeste genommen, das mir in den Sinn kam. Hätte ich nach dem Abi ein Jahr Auszeit durchsetzen können, hätte ich vielleicht ein paar Praktika machen können, um überhaupt erstmal rauszufinden, wohin ich beruflich will. Aber ein Jahr lang nichts tun und das mit gerade mal 19 - undenkbar!

Ach ja, über das Thema könnte ich stundenlang diskutieren. Aber nichts, was ich sage, ändert etwas daran, dass unsere Sozialpolitik immer mehr zum Vorwurf verdreht wird. :(
Charlotte
 

Re: Leistung erbringen: Sofort! (über Arbeitslosigkeit)

Beitragvon GefallenerEngel » Do. 07.11.2013, 21:09

Ich finde es auch total daneben wenn sich Leute in die privaten Angelegenheiten anderer einmischen und diktieren wollen wie und was sie zu tun haben, wie sie ihr Leben zu gestalten haben...

Die Leistungsgesellschaft ist eine Missgeburt und eine Fehlentwickelung, wir brauchen keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Wohlstandsgesellschaft. Darüber hatte ich woanders schon geschrieben. Beide Begriffe wirken auf das Unterbewusstsein und formen für uns entsprechende Wertvorstellungen. Spricht man von einer Leistungsgesellschaft, wird eben Leistung suggeriert mit allen Folgeerscheinungen, die du in deinem Beitrag beschrieben hast. Würde man Leistungsgesellschaft durch Wohlstandsgesellschaft ersetzen, hätten sich mit der Zeit ganz andere Wertvorstellungen herausgebildet...

Deutschland ist ein reiches Land und ist deshalb keineswegs auf die Arbeit der eigenen Bürger angewiesen... Es wäre durchaus möglich, dass ein viel größerer Teil unserer Gesellschaft keiner Beschäftigung nachgeht und trotzdem gut leben kann. Man müsste das Ganze nur klug organisieren. Aber wenn man Billionen Euro für die Schurkenstaaten aus dem Süden Europas direkt und indirekt ausgibt, um den größten Unsinn der Weltgeschichte mit der Bezeichnung Eurozone um jeden Preis zusammenzuhalten, wird daraus natürlich nichts. Im Vergleich zu diesen Unsummen erscheinen doch die Kosten für das Arbeitslosengeld 1 und 2 verschwindend gering, oder nicht?

Und wenn man dann noch die vielen Subventionen an marode, konkursreife Unternehmen und ganze Branchen betrachtet, was die alles kosten...hahaha... das ist doch Heuchelei, wenn man unter diesen Umständen noch von irgendwelchen Belastungen der öffentlichen Kassen durch das Arbeitslosengeld spricht.

Nein, wir sind nicht zur Arbeit und Leistung verpflichtet. Wir dürfen von allem Gebrauch machen, was unser System bietet, so auch von den Sozialleistungen. In der Natur gibt es sehr unterschiedliche und nicht nur "leistungsbezogene" Anpassungsformen, die ein Überleben sichern. Warum sollte es unter Menschen anders sein?

Nicht Leistung, sondern Kreativität bei der individuellen Lebensgestaltung und Anpassungsfähigkeit sind wichtig.
GefallenerEngel
 

Re: Leistung erbringen: Sofort! (über Arbeitslosigkeit)

Beitragvon Svea » Fr. 08.11.2013, 17:49

Echt vielen lieben Dank für eure Gedanken und Denkanstöße.

Liebe Charlotte, ich kenne das nur zu gut, wenn die Eltern einem alles vorschreiben. Auch mich zwängte man nach dem Abitur in eine einzige wahre Richtung. Und jetzt erst merke ich langsam rückblickend, wieviele andere Wege, Möglichkeiten, Chancen eigentlich gewesen wären...

Leider kann man die Zeit nicht zurückdrehen, drum muss man das Beste draus machen.

Danke an Gefallener Engel für dein cooles Plädoyer :D Dadurch gewann ich einige Argumente dazu. Mit dem letzten Satz hast du echt meine komplette Sichtweise zusammengefasst. Besser hätte ich es gar nicht ausdrücken können.

lg
Svea
 


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