Haben wir sie noch alle?

Für die Philosophen und Debattanten unter uns - hier könnt Ihr über Gott und die Welt oder den (Un-)Sinn des Lebens philosophieren ;)
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Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Carmen » Sa. 03.05.2014, 18:10

ICh war gestern shoppen... da ich den ersten Zug verpasst habe, bin ich also in die Buchhandlung am Bahnhof gegangen und habe rum gestöbert. Eine Zeitschrift, die ich gerne lese, lag dort aus und es war auch schon die Ausgabe für Mai.
Ich habe sie also gekauft (sehr empfehlenswert)... und so habe ich die "Neon" gerade eben verschlungen.

"Schön für dich. Was willst du jetzt sagen?"

Es ging u.a. dass immer mehr Menschen therapiert werden. Zitat: "Einzelne Untertherapierte in einer übertherapierten Gesellschaft"

Den Artikel gibt es leider nicht online, dafür ein kurzer Anriss und die Kommentarfunktion: http://www.blog.neon.de/therapie

Die Frage, die sich automatisch bei dem Artikel stellt, ist provokant: Wer braucht wirklich eine Therapie und wer nicht?
Ich möchte damit keinem unterstellen, keine Therapie zu benötigen, ganz und gar nicht.
Ich dachte nur, es sei ein interessantes Thema für eine Diskussion.

Ein paar Beispiele:

Nach dem neuen DSM (Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders; vgl. ICD-10, Diagnosekatalog internationaler Ausrichtung) ist man bereits "leicht depressiv" wenn man länger als zwei Wochen nach einem Todesfall trauert.

Kinder mit Wutanfällen in der sogenannten Trotzphase haben eine "disruptive Launenfehlregulationsstörung"

Für Schüchternheit gibt es bereits ein Medikament: Aurorix.

vgl. Neon, Ausgabe Mai 2014, S. 35 f.

Ich werfe das jetzt einfach mal in den Raum und gucke, was an Antworten kommt.

EDIT: Bitte bitte nicht falsch verstehen!!! Es soll auf keinen Fall heißen, dass man sich keine Therapie suchen sollte oder so. Ich denke, wenn man meint, man braucht eine, dann sollte man sich auch um eine bemühen!
Es geht mir nur um das, was der Artikel aussagt, bzw. die Zitate. Wie ihr das seht.
Carmen
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Blume » Sa. 03.05.2014, 19:13

Es gibt für alles Mögliche eine Bezeichnung, eine Therapieform und ein passendes Mittelchen und trotzdem werden die psychischen Erkrankungen nicht weniger - im Gegenteil, die Zahl der Kranken schießt förmlich durch die Decke ... Komisch, komisch. :lol:

Ich bin ja der Meinung, jeder sollte einen Therapeuten haben. Wie in den USA.
Denn das bringt nunmal unsere Leistungsgesellschaft mit sich: Es wird immer mehr psychische Krankheiten geben und demzufolge auch mehr Erkrankte.

Vielleicht schreibe ich bald noch ausführlicher, aber im Moment fällt mir nicht mehr ein. Sorry.
Blume
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Carmen » Sa. 03.05.2014, 19:14

Blume hat geschrieben:Ich bin ja der Meinung, jeder sollte einen Therapeuten haben. Wie in den USA.


Das musst du mir jetzt erklären :shock:
Carmen
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Blume » Sa. 03.05.2014, 19:39

Ist das so schockierend?

Ich sage nicht, dass jeder eine psychische Erkrankung hat.
Aber jeder macht irgendwann mal schlechte Zeiten durch. Und da ist es doch super, wenn man einen Profi als Ansprechpartner hat. In den USA hat jeder einen Psychiater (der ihn sich leisten kann^^), egal ob krank oder nicht. Ich denke, jeder hat irgendwas aufzuarbeiten.

Und vielleicht dient es ja sogar als Prävention, wer weiß? Vielleicht kommen einige Krankheiten gar nicht erst zum Ausbruch, wenn man die Dämonen der Vergangenheit schon im gesunden Zustand beseitigt?!

So meine ich das.
Blume
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Carmen » Sa. 03.05.2014, 19:59

Achso so meinst du das. Nein, ich meinte nur, dass jeder in der USA einen Therapeuten hat. Das wusste ich nicht^^

Den Rest... kenne ich. Bzw denke ähnlich :)
Carmen
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Atisha » Sa. 03.05.2014, 20:40

nur mal so mein Gedanke dazu, ich dachte mir schon vor sehr langer Zeit, irgendwie ist das ganze Leben eine Therapie :?
Atisha
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Mad-Ich » Sa. 03.05.2014, 20:51

"Wir sind auf dem Weg in ein neues Jahrtausend, auf dem Weg ein Kreuzzug ins Glück." Um die Toten Hosen mal zu zitieren. Sagt eigentlich alles aus, was es dazu zu sagen gibt.
Mad-Ich
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon withoutwings » Sa. 03.05.2014, 20:56

Ich mag dazu noch nichts sagen...nur das ich die Neon schon seit Jahren abonniert habe =)
Wirklich eine tolle Zeitung...;)
withoutwings
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon GefallenerEngel » Sa. 03.05.2014, 21:02

Manche spinnen echt... Die Behauptung, dass man so und so lange trauern darf, um als gesund zu gelten, ist schlich und ergreifend eine unerhörte Frechheit. Würde mir jemand so etwas live ins Gesicht sagen, hätte es für ihn sehr unschöne Konsequenzen gegeben. 8)

Wie lange und weswegen man trauert, ist eine rein individuelle Angelegenheit! Punkt. Wie können Menschen es wagen darüber zu bestimmen? :evil:

Wer eine Therapie benötigt und wer nicht, das kann nur der Betroffene selbst bestimmen.
GefallenerEngel
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon EwigeMutter » Sa. 03.05.2014, 23:05

Manchmal denke ich auch,dass man heute zu schnell in die Schublade "psychisch krank" einsortiert wird oder sich selbst einsortiert.
In meiner Jugend sprach niemand von burn-out,borderline oder ADHS....heute hat das ja irgendwie jeder zweite....meint man zumindest.
Gerade bei Jugendlichen scheint es mir beinahe "in Mode" zu sein, sich selbst psychische Krankheiten zuzuordnen,dabei sind es meiner Meinung nach oft ganz normale Phasen des Erwachsenwerdens,die mehr oder weniger alle zwischen 12 und 20 durchmachen müssen und die häufig mit Selbstzweifeln,Unsicherheiten und Stimmungswechseln einhergehen.
In meinem Bekanntenkreis haben drei "Kinder" ADHS,eines soll depressiv sein (ist 15,sehr schüchtern und bricht ohne Grund schon mal in Tränen aus,-macht eine Therapie!) und eines ist angeblich essgestört,- ich denke aber,sie futtert einfach gern und ist eben genauso so dick wie ihre Mutter.
Ich bin mir nicht sicher,ob das tatsächlich alles schon psychische Störungen sind...

Junge Menschen empfinden heutzutage den Druck in Schule oder Ausbildung oft unerträglich,weil sie nie etwas aushalten mussten und in einer Wohlstandsgesellschaft heranwuchsen,in welcher man sie oft nur mit Samthandschuhen angefasst hat.Ich weiß, da werdet ihr sicherlich aufschreien,wenn ich sowas schreibe.
Ich selbst habe diesen Fehler bei meinen Kindern auch gemacht und meine,dass man jungen Heranwachsenden nicht immer aus der Patsche helfen sollte,wenn sie Mist bauen und sie für materielle Wünsche auch mal etwas arbeiten lassen sollte.
Habe ich nie gemacht, meine beiden sind von mir nach Strich und Faden verwöhnt worden.
Die "Quittung" bekam ich ja,zumindest zeitweise.

Natürlich gibt es auch wirklich kranke junge Menschen und das viel häufiger als noch vor dreissig Jahren.
Ich frage mich,woran das wohl liegt.
Vermutlich ist es in erster Linie ein gesellschaftliches Problem.
Ich empfinde das allgemeine Klima viel kälter als in der 1970er oder 80er Jahren.Junge Menschen schauen nicht mehr so hoffnungsvoll und begeistert in die Zukunft.Sie interessieren sich selten für Politik oder gesellschaftliche Probleme und haben oft keinerlei Idealismus in sich.
Das Denken ist materialistischer und egoistischer als es zu meiner Jugendzeit war.
Wer nicht etwas besonderes in der Schule leistet und dementsprechende Noten hat,kann nichts mehr werden.Angst vor dem Versagen,allgemeine Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit sind auf dem Vormarsch.Menschliche Kontakte finden überwiegend im internet statt und sind häufig flüchtiger Natur.
Wie soll man so glücklich werden?
Ich bin ehrlich gesagt froh,dass ich "die schönste Zeit meines Lebens" in den 1970erund 80er Jahren erleben durfte.
EwigeMutter
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Carmen » Sa. 03.05.2014, 23:22

Sooo. Ich habe 33 Wochenstunden (à 45 min) und verbringe somit etwa 31 Zeitstunden meiner Woche in der Schule (6,2/Tag). Dazu kommen Hausaufgaben, Referatsvorbereitungen und Lernen für Klausuren. Ich kann nicht genau abschätzen, wie viel das ingesamt ist, aber ich würde mal sagen, im Schnitt komme ich auf die gleiche Zeit wie ein Vollzeitarbeitender.
Mein Abitur muss ich 8 statt 9 Jahren schaffen, mit völlig überlasteten Lehrplänen. (das nur am Rande)
Meine Klausuren liegen oft innerhalb von drei bis vier Wochen und dann zwei pro Woche (in der Oberstufe können es auch drei werden) plus Tests, so viel der Lehrer. Das bedeutet in Hochphasen, ich muss für zwei Hauptfächer (Klausur) lernen, für einen Test (Nebenfach) und eine Projektarbeit recherchieren und erstellen. Das gleicht sich zwar wieder aus, aber der Druck ist da. Und an dem kann man wahnsinnig schnell zerbrechen.
Mit Depressionen im Schulalltag zu bestehen und auf dem gleichen Leistunsgniveau zu bleiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich habe zwei Mal lange Schule, die Stufen unter mir alle drei Mal. Wann sollen die noch Sport o.ä. machen, wenn man obiges machen muss, Nachhilfe...?
Kein Mitleid für die armen, armen Schüler, aber ich glaube nicht, dass man den Druck der Schule unterschätzen sollte.

EwigeMutter hat geschrieben:In meinem Bekanntenkreis haben drei "Kinder" ADHS,eines soll depressiv sein (ist 15,sehr schüchtern und bricht ohne Grund schon mal in Tränen aus,-macht eine Therapie!) und eines ist angeblich essgestört,- ich denke aber,sie futtert einfach gern und ist eben genauso so dick wie ihre Mutter.Ich bin mir nicht sicher,ob das tatsächlich alles schon psychische Störungen sind...


Da würde ich dir aber zustimmen.

Ich denke aber auch, dass die Therapiebereitwilligkeit gestiegen ist.
Carmen
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Atisha » Sa. 03.05.2014, 23:42

Heute mag der Leistungsdruck in der Schule enorm sein, aber nicht jeder muss ja aufs Gymnasium gehen auch wenns alle Welt sagt, meine Kinder gehen nicht da hin. Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke wir hatten auch viel auszuhalten, vor allem psychisch, immer der Druck von der Gesellschaft, er war ein anderer er war sozialistisch, aber ich denke nicht weniger unecht. Aber einwas stimmt die Menschen sind heutzutage empfindlicher als früher, halten einfach nicht mehr so viel aus, das liegt aber an der Verfassung wie sie hier auf die Erde kommen ... heute kann man die Menschne auch nicht mehr so in den Krieg schicken wie früher ... sie sollen und wollen nicht und ich finde diese Entwicklung gut, es müsste sich natürlich endlich mal was in der Gesellschaft ändern, nicht die Menschen sind falsch sondern der Umgang mit ihnen, das war in der DDR so und ist es jetzt, wenn auch auf eine andere Art.
Atisha
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Amon » So. 04.05.2014, 00:31

In der heutigen Welt ist der Informationsaustauch nicht nur öffentlicher und leichter zugänglich sondern auch die schiere Masse an Informationen kaum noch zu verabeiten.
Amon
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon Exymesia » So. 04.05.2014, 09:36

Carmen hat geschrieben:Nach dem neuen DSM (Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders; vgl. ICD-10, Diagnosekatalog internationaler Ausrichtung) ist man bereits "leicht depressiv" wenn man länger als zwei Wochen nach einem Todesfall trauert.

Kinder mit Wutanfällen in der sogenannten Trotzphase haben eine "disruptive Launenfehlregulationsstörung"

Für Schüchternheit gibt es bereits ein Medikament: Aurorix.


GefallenerEngel hat geschrieben:Manche spinnen echt... Die Behauptung, dass man so und so lange trauern darf, um als gesund zu gelten, ist schlich und ergreifend eine unerhörte Frechheit.


das ist ja grausam wie schnell die gesellschaft einen doch wieder in die leistungsfähigkeit zwingen will. "ich muss also MUSST Du erst recht effektiv und perfekt sein!".... ist schon ein scheiss gefühl..
das ist alles so oberflächlich, so kategorisch, wie gefallenerEngel sagt... nichtmehr individuell

ja manchmal braucht man eine therapie & tabletten, weil nichts anderes mehr hilft die gedanken wieder zu einer klaren ebene zu regulieren.... garkeine frage

ich denke jedoch immer das natürliche wege besser sind, von grund auf stärkender.
- ein hobby welches für einen guten emotionalen ausgleich sorgt, ein abschalten, ablenken lässt
- ein verein, eine gute gesellschaft (der mensch ist nunmal ein rudeltier, allein und einsam werden wir krank :( )
- spezieller halt in der familie
- selbststolz? denke es ist ein wichtiger antagonist zum hass(allen hass)
- lernen es nicht mit sich machen zu lassen
uvm..

@ewigeMutter dem allgemeinen gesellschaftlichen anblich und der erziehungsfrage von Dir kann ich absolut nichtsmehr hinzufügen.. Du hast mich wie immer gebaffed, positiv

(war gestern nach langer zeit >>AN EINEM SAMSTAG<< wieder in einer großstadt unterwegs und es liefen doch recht viele iwie... krank herum, rauchten, sauften, verbargen ihre arme... das war doch schon erschreckend.. ich dachte mir... ist es jetzt echt schon soweit?..)

jedoch wie wird sich das alles verändern? ist es kalkulierbar? ich vermute es ist doch iwie kalkulierbar..
und es wird sich definitiv verändern
--> der moment an dem die jetzigern kinder erwachsen sein werden? wie werden wohl die kinder sein... ich habe horrorvorstellungen von absolut emotionslosen puppenhaften menschen.. :,(


lg vom Holzmichel.. ich bin und bleibe doch ein naturmensch, stark und frei!
und ich weiss das ich mit meinen kindern egal ob junge oder mädchen viel in der natur machen will.. ich erhoffe mir innere stärke meiner kinder um in der kommenden welt standzuhalten und nicht zu erkranken

bin froh mich mit euch hier im forum darüber austauschen zu können, jeder gedankeneinwurf und austausch ist echt super eurerseits
Exymesia
 

Re: Haben wir sie noch alle?

Beitragvon EwigeMutter » So. 04.05.2014, 12:07

Carmen: Zum Thema Schule könnte man jetzt einen neuen Thread eröffnen...ich finde unser gesamtes Schulsystem zum Ko...n....
Lernen sollte ja eigentlich Spaß machen und dazu führen,dass man im Leben besser klarkommt und neben allgemeiner Bildung auch etwas lernt,was man ganz praktisch im Leben anwenden kann.
Gymnasiasten lernen z.B. haarklein molekulare Strukturen und Funktionen der Zelle ,wissen aber so gut wie nichts über gesunde Ernährung oder Naturheilkunde.
Das ist nur ein Beispiel.....der Stoff ist zu komprimiert,zu detailreich....ich glaube,man lernt zu viel Unsinniges,was man sowieso 5 Tage nach dem Abi vergessen hat.
Auch dieses Schulstunden-System....1 Stunde Mathe,eine Stunde Deutsch,eine Stunde Biologie....ich finde das zu zerhackt.
Fächerübergreifende Lernblöcke fände ich persönlich besser....man verknüpft verschiedene Fächer durch ein Thema, arbeitet an Projekten und im Team.
Aber das führt hier zu weit.
Ich finde,dass Herr Precht da sehr nette Sachen zu gesagt hat:

http://www.youtube.com/watch?v=WEX-lolGPyM

Tschuldigung,ist etwas OT.....
EwigeMutter
 

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