Warum das Opfer keine Schuld hat.

Es geht hier um die Themen sexueller Missbrauch und Nötigung bzw. Vergewaltigung sowie um körperliche wie emotionale Formen der Gewalt.

Wichtig: Die Inhalte dieses Unterforums können v.a. für Betroffene stark triggernd sein!

Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Kleiner Elefant » Di. 10.06.2014, 17:22

Stellt euch vor, ihr wollt mit eurer besten Freundin ins Kino gehen.
Eure beste Freundin hat aber weder Lust auf´s Weggehen, noch auf den Film an sich.
Was würdet ihr tun, um sie zu überreden?

* "Ach komm, ich war doch gestern auch auf der Party, obwohl ich keine Lust hatte"
* "Bitte bitte bitte bitte bitteeeeeeeeeeee"
* "Ich lad´ dich dann auch auf Popcorn ein"
* "Ich dachte, du wärst meine beste Freundin....."
* "Dann bleib´ ich halt auch zu Hause und heule, wenn dir das lieber ist?!"
* "Dann gehe ich morgen auch mit zur Party"
* "Jetzt geh´ halt mit!"


Ihr würdet vermutlich nicht einfach sagen "Okay, bis morgen dann". Ihr würdet vermutlich versuchen, zu eurem Ziel zu kommen.

Und so tun es Täter auch.
Sie setzen genau DA an, wo es anzusetzen geht.
Wenn eurer besten Freundin die morgige Party also extrem wichtig ist, sie die letzten Tage nur von der Party redet, dann bietet es sich an, auch da anzusetzen.
"Okay, ich hatte ja keine Lust, aber wenn du heute mitgehst, dann gehe ich morgen auch mit auf die Party".

Und ein Papa sagt vielleicht:
"Wenn ich da mal gucken darf, darfst du auch mit der Playstation spielen. Du weißt, Mama will das nicht. Aber ich erlaube dir das. Das ist dann unser Geheimnis, da kann Mama dann nicht schimpfen".

Opfer haben keine Schuld. Sie wurden manipuliert von Menschen, die wissen, wo sie manipulieren können.
Das obige Beispiel der besten Freundin war harmlos. Aber so funktioniert Manipulation.
So passiert es, dass auch eine 30jährige Frau emotional so manipuliert wird, dass die aufgeklärte Frau Opfer von Missbrauch oder Vergewaltigung werden kann.

Opfer haben keine Schuld.
Kleiner Elefant
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon kleeblatt123 » Di. 10.06.2014, 17:44

Wohl wahr, nur fällt genau das in den Kopf zu kriegen den Betroffenen meist viel zu schwer...

Aber danke für die Beispiele und für die Erklärung!
kleeblatt123
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Kleiner Elefant » Di. 10.06.2014, 17:48

Der Text richtet sich genauso auch an Nicht-Betroffene. Um aufzuzeigen, um Verständnis zu wecken.
Kleiner Elefant
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon kleeblatt123 » Di. 10.06.2014, 18:02

Das hatte ich auch nicht angezweifelt oder war das jetzt eine allgemeine Aussage und nicht bezogen auf meinen Beitrag? Dann nehme ich das zurück.

Meine Aussage sollte auch allgemein gehalten ankommen. Ich wollte zum Ausdruck dass ich eben mittlerweile auf einige Missbrauchsopfer getroffen bin und bei jedem die Problematik des sich Schuld gebens zu finden war und das sie eben oft gehört haben, dass sie das nicht bräuchten und es trotzdem nicht abstellen können. Es scheint mir einfach eine zwingende Nachwehe des erfolgten Missbrauchs zu sein... Und ein Gedanke den man oft dauerhaft ohne Hilfe nicht durchbrechen kann.
kleeblatt123
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon MajorSamCater » Di. 10.06.2014, 20:47

In dem Zusammenhang mag ich daraufhinweisen, dass es nach solchen traumatischen Erlebnissen, oftmals zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommt. Ein Merkmal dieser Erkrankung KÖNNEN u. a. auch Schuldgefühle sein.

Wie Kleeblatt bereits bemerkt hat, ist es dem Betroffenem nicht möglich, diese Schuldgefühle "abzustellen", das bedarf oftmals einer Therapie. Egal, wie oft das beteuert wird. In schwachen Momenten obsiegt dann das schlechte Gefühl oft.

Es ist auch oft so, dass der "normale" Teil des Gehirn das weiß, der andere (gefühlsbezogene), das trotzdem anders sieht. Zwei Herzen in einer Brust, so zu sagen.
MajorSamCater
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Hasimausi2306 » Do. 26.06.2014, 10:27

Schön geschrieben.

Dennoch bleibt immer noch das Gefühl schmutzig zu sein.
Man hat unkontrollierbare Gedanken, wofür man sich einfach nur schämt.
Hasimausi2306
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Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon ronnie » Do. 04.12.2014, 23:05

So einfach ist das meiner Meinung nach nicht. Mein Täter wollte mich nicht manipulieren. Genausowenig wie die Freundin aus deinem beispiel manipulieren will. Sie macht das ja unbewusst. Mein Täter ist in Tränen ausgebrochen als ich in nachdem ich 18 geworden bin konfrontiert habe.Ich versuch die Schuld nicht bei mir zu sehen aber ihm geben geht auch nicht.
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Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon nixkann » Sa. 23.05.2015, 00:58

Ich finde den Text sehr gut, aber es ist verdammt schwierig das umzusetzen. Wenn mir von sowas berichtet wird, sage ich auch, dass das Opfer nicht schuld ist. Aber das bezieht sich nciht auf mich selbst. Ich war ein Kind, aber ich habe dennoch das Gefühl schuld zu sein. Schließlich hätte ich mich ja wehren oder jemanden öffnen können...
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Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Lightning » Sa. 23.05.2015, 01:29

Also ich bin zwar nicht betroffen.. aber für mich ist immer der Täter schuld. Warum sollte das Opfer schuld sein? Das würde ich wenn überhaupt nur verstehen, wenn das Opfer z.B. bei sexuellem Missbrauch dem Täter eindeutige Signale gegeben hat und ihn irgendwie verführen wollte.. und selbst dann ist der Täter letztendlich schuld. Dann hätte man nur ein wenig dazu beigetragen, dass ein Täter tätig wird.

nixkann hat geschrieben:Schließlich hätte ich mich ja wehren oder jemanden öffnen können...


Solche Gedanken würde ich z.B. auch nicht mit Schuld verbinden.. sondern mit Ängsten und Scham. Sry.. aber warum Opfer sich oft als schuldig betrachten, kann ich nur schwer verstehen. Das ist für mich wohl auch nur durch die Worte von Sammy nachvollziehbar.

ronnie hat geschrieben:Mein Täter ist in Tränen ausgebrochen als ich in nachdem ich 18 geworden bin konfrontiert habe.Ich versuch die Schuld nicht bei mir zu sehen aber ihm geben geht auch nicht.


Naja.. ich würde sagen er brach in Tränen aus, weil er sich die Schuld gibt.. und das ist auch richtig so. Ich hätte da ehrlich gesagt auch kein Mitleid.. allerdings würde es mich beruhigen zu wissen, dass es schwer für ihn ist, damit zu leben und er evtl. bereut, was er getan hat. Trotzdem ist er schuldig. Er hat es wenigstens auch selbst erkannt. Du kannst ihm vergeben.. aber die Schuld lag/liegt meiner Meinung nach trotzdem bei ihm.
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Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon MajorSamCater » Sa. 23.05.2015, 03:58

Man muss es ja auch so sehen, dass diese Schuldzuweisung eine Art "Hilfsmittel" der Seele ist, das ganze in irgendeinerweise zu..."begründen". Als Betroffener/Betroffene ist man dieser Situation, einer für in diesem Moment extrem bedrohlichen Situation, ausgeliefert. Man verspürt Hilflosigkeit. Man empfindet Angst. (=Trauma).

Was passiert? Die eine Hälfte kann die vllt. die Flucht ergreifen, evtl. Die andere Hälfte verfällt in eine Starre. Das sind einfach typische Angstreaktionen. So hat die Natur es vorgesehen.

Und dann? Wie erklärt man sich das, wie erklärt man sich? Es ist zwar naturgegeben, aber man denkt ja: Ey, ich bin ein Mensch, ich handle nicht wie ein Tier.

Im Übrigen, versucht man auch zu verstehen, welche Gründe das Ganze hat. Man versucht den Täter zu verstehen, warum er das gemacht hat. Man versucht sein ganzes Gehirn danach abzusuchen (egal wie unlogisch das ist!) und kann in diesem Moment durch die Krankheit/das Ereignis nur zu dem Schluss kommen, dass man Schuld ist.

Leider ein sehr tiefsitzendes Krankheitsmerkmal. Leider total unlogisch und leider auch nicht einfach nicht "umfahrbar". Es braucht viel viel Zeit das ansatzweise zu verstehen und noch mehr Zeit es irgendwann anders zu fühlen (denken ist etwas anderes).

Ich wünsche jedem, dass er es irgendwann schafft, wenn ich auch selbst nicht soweit bin.
MajorSamCater
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Christine » Sa. 23.05.2015, 11:28

*vorsichtshalber Triggerwarnung setze*


MajorSamCater hat geschrieben:Man muss es ja auch so sehen, dass diese Schuldzuweisung eine Art "Hilfsmittel" der Seele ist, das ganze in irgendeinerweise zu..."begründen". Als Betroffener/Betroffene ist man dieser Situation, einer für in diesem Moment extrem bedrohlichen Situation, ausgeliefert. Man verspürt Hilflosigkeit. Man empfindet Angst. (=Trauma).

Genauso ist es.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Sich selbst die Schuld zu geben, schützt. Das klingt erst mal widersprüchlich, aber - wenn ich selbst schuld bin, dann hätte ich damals etwas anders machen können/müssen. Sprich: Das bedeutet, ich wäre handlungsfähig gewesen.
Wenn es nicht meine Schuld war, bedeutet das auch, ich war in der Situation vollkommen hilflos. Dieses Wissen ist oft schwerer auszuhalten, als sich (ungerechtfertigt) die Schuld zu geben.


@Täter/Schuld: Mir hat es geholfen, das Wort "Schuld" durch "Verantwortung" zu ersetzen.
Tatsächlich gibt es Täter, denen im Moment der Tat nicht bewusst war, dass sie etwas falsches tun. Da greifen ja auch Verdrängungsmechanismen in deren Seele. Zum Beispiel verdrehen sie in ihrer Wahrnehmung das was passiert so, dass es in irgendeiner Art und Weise für sie okay ist. (Das bedeutet NICHT, dass es tatsächlich okay ist!).
Allerdings kann man trotzdem sagen: Der Täter hätte die Verantwortung gehabt, darauf zu achten, dass sein Verhalten keinen Schaden anrichtet. In vielen Fällen hätte er die Aufsichtspflicht gehabt, oder sonst eine Form von Fürsorgepflicht, aber definitiv hatte er die Verantwortung, die jeder Mensch hat: auf seine Mitmenschen Rücksicht zu nehmen und bei der Erfüllung seiner Bedürfnisse niemand anderem zu schaden.
Daran haben sich Täter nicht gehalten; sie haben ihre Verantwortung nicht erfüllt und in diesem Sinne sind sie auch "schuld". Obwohl Schuld ein hartes Wort ist und von Opfern oft nicht gern verwendet wird, die zu ihrem Täter eine emotionale Beziehung hatten und in irgendeiner Form von ihm abhängig waren.
Christine
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon Rainbow » Sa. 23.05.2015, 11:44

zu dem Thema hab ich auch eine frage.

man sagt generell...ein Kind trägt keine Schuld, was ich auch nachvollziehen kann...
zu mindestens vom Kopf her in meinem Fall.
Was aber wenn der Täter selber noch fast Kind war...sagen wir 15 Jahre?...das Opfer 8 Jahre

Wer hat Schuld?
Das ist für mich ein riesengroßes Problem!
Wem gibt man da die Schuld?

Ich denke immer, ein jugendlicher der sowas macht, muss selber solche Erfahrungen gemacht haben...
Wie würdet ihr sowas einordnen?
Rainbow
 

Re: Warum das Opfer keine Schuld hat.

Beitragvon nixkann » Mi. 27.05.2015, 22:29

Hallo Rainbow,
die Frage ist schwer bis garnicht zu beantworten. Aber ich finde, das jemand mit 15 bereits alt genug ist um zu wissen, dass das falsch ist sowas zu tun. Sexuelle Neugier hin oder oder her. Im Zweifelsfall sollte man mal bei dem Jungen zu Hause schauen ob da nicht der eigentliche schuldige sitzt.

@all: Ich glaube nicht, das mein Täter heute in irgendeiner Weise die Schuld bei sich sucht. Wahrscheinlich denkt er sich, das er mir etwas gutes getan hat. Schließlich verbrachte er Zeit mit mir und hat auch mit mir gespielt. Dinge, die ich mir eigentlich von meinem Vater gewünscht hätte.
Die Opfer, die ich bisher kennen lernen durfte, suchten die Schuld immer bei sich. Jeder aus anderen Gründen. Ich ja eben auch. Auch wenn ich anderen Opfern versuche diese Gedanken zu nehmen, gebe ich mir selbst nicht das Recht die Schuld bei Ihm zu suchen.
nixkann
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