Paris sehen und gehen.

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Paris sehen und gehen.

Beitragvon Verloren » Mi. 17.07.2013, 00:32

Sie saßen in einem Straßencafé in einem beschaulichen Vorort von Paris. Sie kannten nicht den Namen des Vorortes und wussten nicht einmal, ob er überhaupt noch zu Paris gehörte. Die Stadt der Liebenden hatte im geschäftigen Treiben einer europäischen Großstadt ihre Romantik verloren, doch hier kamen sie sich vor, wie in einer anderen Welt.
Es war Montag und in Paris war die Hölle los. Menschen auf dem Weg zur Arbeit, Menschen bei der Arbeit, Menschen, wie sie andere Menschen auf ihrem Weg ignorierten und Menschen, die wie verloren dazwischen standen und versuchten, ihrer Arbeit nachzugehen. Inmitten dieses Treibens stand, als scheinbarer Ruhepol, der Eifelturm, doch hörte man genauer hin, konnte man schon von weitem das aufgeregte Sprechen und Lachen der Touristen hören, die wie eine nicht enden wollende Ameisenkolonie den Turm hinauf und wieder hinunter hasteten.
Hier, in diesem kleinen Ort nicht weit von Paris, doch meilenweit entfernt von aller Unruhe, ein Ort, der scheinbar nur aus zwei Straßen, einem Bäcker und diesem kleinen Straßencafé zu bestehen schien, hier gingen die Menschen gelassener ihres Weges. Es fuhren kaum Autos, doch die, die es taten, fuhren so langsam, als hätten sie keine Lust darauf, ihren in sich ruhenden Ort zu verlassen, um in das Gewühl der Großstadt einzutauchen. Blumenkästen säumten den Weg und um jeden einzelnen Baum waren wiederrum kleine Beete angelegt, aus denen Gänseblümchen, Veilchen und Vergissmeinnicht sprossen.
Es war Ende März, doch es war schon ungewöhnlich warm. So saßen sie an einem der Tische im Freien, beide im T-Shirt, jeweils einen Arm unter dem Tisch baumelnd, die Hände ineinander verschränkt. Die andere Hand hielt jeweils eine Tasse Kaffee, geröstet nach einem regionalen Verfahren, hatte man ihnen gesagt. Er war gut. Ein Stück braunen Zucker und einen Schuss Kaffeesahne, so mochten sie beide Kaffee am liebsten. Dieser Kaffee hatte ein sehr starkes Aroma, doch schien der Geruch die Nase nur sanft zu umspielen, wie starke durchtrainierte Arme auch zu zärtlichen Berührungen fähig sind. Zurückgelehnt in den Stühlen, ein Bein über dem anderen schauten sie beide in den strahlend blauen Himmel, über den vereinzelt weiße Wattewolken zogen.
Sie sprachen nicht, schauten sich nicht an, bewegten sich kaum, außer vereinzeltem Nippen am Kaffee oder einem sanften Streichen des Daumens über die andere Hand. Sie lächelten nicht, wirkten aber auch nicht unglücklich. Sie hofften beide, dass die äußerliche Ruhe, die innerliche Unruhe zähmen konnte, die in ihnen wütete wie ein Frühjahressturm. Doch eben wie ein Frühjahressturm, würde auch diese Unruhe hoffentlich zu Klarheit führen. Ein klares Ergebnis. Eine Entscheidung.
Sie wussten, wenn sie zurückflögen, würde der Alltag sie wieder schlucken. Sie würden alleine in ihren Wohnungen sitzen, den grauen Himmel betrachten und sich nach diesem hier sehnen. Sie würden zu ihrer Arbeit gehen, die sie nicht ausstehen konnten und vermutlich daran zu Grunde gehen. Ein langweiliges Leben führen und wie Roboter durch den Alltag gehen, ohne Herz und Verstand.
Aber sie wurden erwartet. Von Freunden und den Familien. Von den Eltern, die ihre Verbindung zu unterbinden suchten. Von Menschen die niemals verstehen würden, aber auch von Menschen, die sie unterstützen würden. Auch wenn sie nicht wiederkehren würden.
War es das Wert? Die Familie zu verlassen, den Job aufzugeben, die Freunde nur noch ein oder zwei Mal im Jahr zu sehen? Ganz auf sich gestellt zu sein? Arm in Arm, nur mit zwei Koffern durch die Welt zu reisen und nach einer Heimat zu suchen?


Passanten sahen zwei Frauen in einem Straßencafé. Sie tranken Kaffee und hielten sich bei den Händen, während ihnen Tränen über die Wangen liefen. Der heimliche Sturm hatte sich gelegt. Er hatte gute Arbeit geleistet. Von ihren vorherigen Leben, waren nur noch Bruchstücke zu sehen. Es war an ihnen, eine neue, eigene Landschaft aufzubauen, mit einer Heimat, die sie noch lange suchen würden.


(Dies ist eine Geschichte, die ich selbst vor einigen Jahren verfasst habe. Meiner Meinung nach, das beste, das ich je zu Stande gebracht habe. Das, was sie beschreibt, basiert nicht auf mir bekannten Geschehnissen, wünsche ich mir das teilweise sehr, für mich selbst.
Aurellie)
Verloren
 

Re: Paris sehen und gehen.

Beitragvon Luna » Mi. 17.07.2013, 11:25

Hallo Verloren,

das ist wirklich eine tolle Geschichte. Du beschreibst alles sehr gut und lebhaft.
Besonders der Schluss berührt sehr und es wirkt, als haben die beiden etwas ganz Wichtiges begriffen.

:applaus:

Gruß, Luna
Luna
 


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