Ich bin fremd. *evtl TRIGGER*

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Ich bin fremd. *evtl TRIGGER*

Beitragvon honey » Di. 21.05.2013, 12:42

Eins

Ihre Augen sind leer und blicken mich ausdruckslos an. Die Haut ihres Gesichtes ist rot, besonders an den Wangen. Ich weiß, sie muss sich rau anfühlen. Ihr blondes Haar fällt stumpf über ihre Schulter. Sie hebt eine Hand an ihre aufgesprungenen Lippen. Ihre Fingernägel sind bis auf das Äußerste abgekaut und es lassen sich Reste von rotem Nagellack erkennen. Sie öffnet den Mund. Keine makellos weißen Zähne, dennoch eine Farbe, die signalisiert, dass sie gesund sind.
Es sieht aus, als wollte sie schreien. Mein Inneres sagt mir, ich solle etwas tun. Ich habe das Gefühl, dass ich mich nicht bewegen kann. Ich zögere. Und ihr Gesichtsausdruck verändert sich. Gequält. Schließlich hebt sie auch ihre andere Hand und streckt sie nach mir aus. Aber sie wird niemals mein Gesicht berühren. Niemals mein Herz. Niemals meine Seele.
Und als ihre Hand innehält, spüren meine Fingerspitzen die Kälte der unsichtbaren Barriere zwischen Realität und Geist. Einige Zeit bewegt sich nichts. Dann wende ich mich von dem Mädchen im Spiegel ab. Ich bin nicht traurig. Ich werde sie bald wieder sehen.

Zwei

Seit Wochen arbeitete er fleisig daran, sie zu zerstören. Alles woran sie geglaubt hatte, löste sich langsam aber sicher auf. Sie verlor jegliches Gefühl für sich. Und am 02. Juli 2012 verlor sie auch sich selbst.
Sie schließt ihre Zimmertür hinter sich und bleibt wie erstarrt stehen. Die weißen Wände drohen sie zu ersticken, ihre Augen werden von einem glasigen Schleier bedeckt und sie spürt, wie sich ihr jeder einzelne Muskel widersetzt. Im Nu kann jede einzelne Faser ihres Körpers die glatte und kühle Oberfläche des Parkettbodens fühlen. Eine gefühlte Ewigkeit starrt sie an die Decke und die Überfüllung ihres Verstandes wandelt sich in Nichts. Wie lange sie wirklich so da lag, weiß sie nicht. Sie will es auch nicht wissen.
Langsam kommt ihr Gewissen zurück. Es bringt den Schmerz und die Scham gleich mit und sie setzt sich auf. Immer lauter redet ihr Inneres auf sie ein. Sie kann nicht entkommen. Wie soll sie auch aus ihrem eigenen Körper fliehen? Es hört nicht auf. Eine ganze Weile erträgt sie es stumm. Schreien hilft nicht mehr. Und plötzlich sieht sie diesen einen Weg. Den einzigen Weg ihre Gedanken zum Schweigen zu bringen. Und als sie fühlt, wie die Wunden von innen nach außen dringen, kommt in ihrem Gefängnis alles zur Ruh’. Mehr hatte sie niemals gewollt.

Drei

Es wird Sommer und sie wacht jeden Morgen mit Sonnenstrahlen im Gesicht auf. Wenn sie duscht, ist das der einzige Moment am Tag, an dem ihre Narben länger als drei Minuten sichtbar sind. Aber es macht ihr nichts, wenn mal jemand die Wunden sieht. Sie sind ein Teil von ihr und das werden sie immer sein. Sie erinnern sie daran, wer sie war und wer sie nie wieder sein will. Das Mädchen denkt sich: Das ist die einzig wahre Liebe, die ich je erfahren habe.

Und sie denkt: Was mich nicht umgebracht hat, hat mich kein einziges Mal stärker gemacht.
honey
 

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