Auf einem Weg

Eure Gedichte, Geschichten, Erzählungen und andere niedergeschriebene Texte finden hier ihren Platz.
Wichtig: Falls die Texte nicht von Euch selber sind, schreibt das bitte dazu und achtet auch darauf, dass Ihr keine Urheberrechte verletzt.

Auf einem Weg

Beitragvon Menschensohn » Mo. 13.09.2010, 19:26

Kapitel 1


Der Anruf

Es ist ein Anfang. Aber der Anfang von was? Der Anfang vom Ende? Ich weiß es nicht, noch nicht.
Ich puste den Zigarettenrauch aus meinen Lungen, während ich mich frage, ob es nicht doch ein Fehler war. Was könnte ein einziger Anruf schon anrichten? Würde sich tatsächlich alles verändern? Ich kann immernoch einen Rückzieher machen und niemand würde etwas davon erfahren.
Durch die dichten Rauchschwaden werfe ich ein Blick auf das Telefon, dass direkt vor mir liegt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich es wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf schweben. Und ein weiteres Mal frage ich mich, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Tatendrang und Entschlossenheit, welche mich noch minuten zuvor beherrscht hatten, waren plötzlich wie weggeblasen. Genau wie der kalte Rauch, der vor mir in der Luft hängt. Beim ausdrücken der Zigarette merke ich, wie sehr ich zittere. Die wohlbekannte Angst ergreift ein weiteres Mal Besitz von mir.
Noch immer habe ich die typische, monotone Stimme der Vorzimmerdame in meinem Kopf.
'Ich hätte gerne einen Termin' habe ich gesagt.
'Wäre ihnen Donnerstag, 16.45 Uhr recht?' Donnerstag 16.45 Uhr. Ein Wendepunkt, da bin ich mir sicher. Aber in welche Richtung? Ein paradoxer Gedanke. Nichts im Leben ist wirklich präzise. Ich kann keine Gefühle beschreiben, genauso wenig, wie ich Farben beschreiben kann. Das Leben ist keine einfache Aneinanderkettung von Ereignissen, sondern es verläuft flüssig, wie Wasser. Man kann es nicht trennen. Nichts im Leben ist präzise, aber dennoch habe ich einen Termin für einen Wendepunkt in meinem Leben. Donnerstag 16.45 Uhr. Paradox.
Ich zünde mir eine weitere Zigarette an. Lass dich nicht von der Angst beherrschen, sage ich mir. Schüttele sie ab. Ich nehme einen kräftigen Zug und spüre, wie das Leben in meinen Körper eindringt und gleichzeitig den Tod mit sich bringt. Eine Ironie des Schicksals.
'Worum geht es?' hat sie gefragt.
'Ich...'. Worum ging es eigentlich? Was sollte ich ihr sagen, was sollte ich schon jetzt preisgeben? Alles oder nichts.
'Ich brauche Hilfe. Ich glaube, ich bin depressiv.'
Menschensohn
 

Re: Auf einem Weg

Beitragvon baby3377 » Mo. 13.09.2010, 19:49

Ich finde es super das du es so schnell geschafft hast,der Rest klappt jetzt auch.

Der erste,schwerste und wichtigste Schritt ist getan und da kann man doch toll gemacht sagen.
baby3377
 

Re: Auf einem Weg

Beitragvon Menschensohn » Mo. 13.09.2010, 22:44

Was haltet ihr von dem text an sich? Ich habe versucht, die Gefühle, dich ich bei diesem Telefonat empfunden habe, aufzuschreiben. Mich würde interessieren, ob man diese nachvollziehen kann. Wenn ich jetzt an das Gespräch denke, erscheint alles zu irrational und ich verstehe es teilweise selber nicht.
Menschensohn
 

Re: Auf einem Weg

Beitragvon Menschensohn » Di. 12.10.2010, 19:18

Kapitel 2


Das Wartezimmer

Schon wieder starrt sie mich an. Ich merke wie sie Versucht in meinem Kopf einzudringen um herauszufinden, warum ich hier sitze. Diese Neugier, von Freunden getarnt als Hilfsbereitschaft. Du kannst es mir ruhig erzählen, haben sie gesagt. Ich kann es nicht Verstehen, weil du nichts von dir Preisgibst. Verständnis? Niemand hat jemals versucht wirklich zu verstehen. Sie wollen wissen. Und wenn sie wissen, dann verliert es den Reiz. Warum etwas verstehen, wenn die Neugier doch schon befriedigt ist? Aber mir war immer klar, nur wer versteht kann mir wirklich helfen. Ein Phänomen, dass man immer und überall beobachten kann. Die Menschen bieten ihre Hilfe aus purem Egoismus an.
Mir gegenüber hängt ein Bild an der Wand. Van Gogh - Café bei Nacht. Natürlich, es ist immer van Gogh. Hätte ich eine solche Praxis, würde ich mir den Schrei ins Wartezimmer hängen. Der Gedanke amüsiert mich. Ich lächele.
Die Frau mustert mich immernoch. Sie gibt keinen Ton von sich, aber ihre Augen ruhen auf mir. Ich starre zurück, möchte das sie merkt, dass auch ich ein Wesen mit Gefühlen bin. Normalerweise wenden die Leute ihren Blick ab, wenn ich zurück starre. Sie nicht.
Ich denke an das, was vor mir liegt. Ich muss ehrlich sein. Wie um alles in der Welt sollte ich das anstellen? Wie kann ich jemandem alles über mich preisgeben? Ich habe angst. Angst davor, nicht ernstgenommen zu werden. Angst davor, einem Menschen zu erzählen, was ich fühle. Und vor allem habe ich Angst vor den Veränderungen, die auf mich warten. Ich werfe einen Blick auf die Tür. In gedanken sehe ich mich einfach raus gehen. Ich weiß, dass mich niemand aufhalten würde. Warum auch? Aber diesmal nicht, diesmal mache ich keinen Rückzieher.
Innerlich versuche ich mich auf Fragen vorzubereiten, die mir villeicht gestellt werden. Wann warst du das letzte mal glücklich? Ich habe Angst vor dieser Frage. Was für ein Mensch kann sich nicht daran erinnern, jemals glücklich gewesen zu sein?
Gibt es etwas, auf das du dich freust? Jeder Mensch freut sich auf irgendetwas - nur ich nicht.
Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hättest? Ich weiß es nicht.
Ich werde wütend, fange an zu zittern. Ein anderer würde für einen einzigen Wunsch töten. Und ich weiß nichts damit anzufangen.
Ich schaue ein weiteres mal zur Tür und kämpfe gegen den Drang an, einfach wegzurennen. Warum sollte ich alles so kompliziert werden lassen?
Es dauert weitere 5 Minuten bis ich meinen Namen höre. Den Gang runter, letzte Tür rechts. So offensichtlich und doch so symbolisch. Eine letzte Tür, durch die ich gehen muss. Die ich aus eigener Kraft überschreiten muss. Ich zittere stärker. Meine Hände schwitzen. Schritt für Schritt gehe ich die grüne Meile entlang. Jede Faser in meinem Körper schreit danach sich umzudrehen. Einfach weglaufen. Ich stehe vor der Tür und atme tief ein. Dann tue ich den letzten Schritt, in dem Bewusstsein, dass es gleichzeitig mein erster ist.
Menschensohn
 


Zurück zu Gedichte und Geschichten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste