"Der Klang meiner Stimme"

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"Der Klang meiner Stimme"

Beitragvon withoutwings » Mo. 21.04.2014, 21:06

Der Klang meiner Stimme
oder wie ich in einen Graben fiel.

Sie sagten ich solle öfter lachen, und ich tackerte mir meine Mundwinkel mit kleinen Klammern an meine Ohren. Später sagten sie, das Leben sei verdammt hart und das Lachen könne mir schnell vergehen. Ich riss die Klammern aus meinen Ohren, was eine ziemliche Sauerei war, und meine Mundwinkel hingen auf beiden Seiten schlaff mein Gesicht herunter.

Sie sagten ich solle fleißiger und ehrgeiziger sein, und ich setzte mich an meinen Schreibtisch und lernte Wörter aus dicken Büchern. Später sagten sie, ich sei besessen und übereifrig und ich müsse lockerer werden. Das Leben bestünde nicht nur aus Pflichten, und ich verbrannte meine Bücher, legte mich auf eine Wiese und starrte schwarze Löcher in den Himmel.

Sie sagten ich solle meine Schultern nicht hängen lassen und aufrecht durch das Leben gehen, und ich steckte mir einen Besen in meinen Hintern. Später sagten sie, ich bewege mich wie ein Roboter und es sei wichtig, meine menschliche Seite zu zeigen. Ich stieg auf den höchsten Baum in unserem Garten und sprang herunter, und es knackste fürchterlich, als der Stock in zwei brach.

Sie sagten ich solle nicht traurig sein, denn ich lebe nur einmal und das Leben sei zu kurz für Trübsinn. Ich ging in Nachtclubs und tanzte, bis meine Füße mich nicht mehr trugen und trank, bis sich die Welt so schnell drehte, dass ich ihr nicht mehr folgen konnte. Später sagten sie, dass Leben bestünde nicht nur aus Party und Alkohol, und ich kotzte ihnen direkt vor die Füße, und dann bückte ich mich und wischte alles wieder auf.

Sie sagten ich solle nicht auf Knien vor anderen Menschen herumrutschen, mich nicht kleiner machen als ich sei und auch mal über andere Köpfe hinwegsehen. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, stolzierte auf den Zehenspitzen durch die große Welt und streckte meine Nase in den Himmel.

Als ich eines Tages auf der Straße lief und den Blick stur auf den Horizont gerichtet hatte, da stürzte ich in einen tiefen schwarzen Graben. Und dann bildeten sie einen Kreis um das Loch herum, blickten von oben auf mich herab und lachten.

Später, als es anfing zu regnen und das Loch sich mit Wasser füllte, sagten sie ich solle wieder herauskommen. Aber ich wollte alleine sein. Ich legte meine Hände auf meine Ohren und vernahm ein unbekanntes Rauschen und dann schrie ich so laut ich konnte. Und zum ersten Mal vernahm ich den Klang meiner eigenen Stimme.


http://www.neon.de/artikel/fuehlen/erwa ... me/1135248
withoutwings
 

Re: "Der Klang meiner Stimme"

Beitragvon Kleiner Elefant » Mo. 21.04.2014, 21:09

Das ist sehr berührend. Und schön. Danke.
Kleiner Elefant
 


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