Wie fing es an?

Forum zum Austausch über das so genannte Selbstverletzende Verhalten (SVV), auch bekannt als Ritzen, Selbstverstümmelung, Cutten usw.
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Wie fing es an?

Beitragvon Jessy » So. 20.01.2013, 20:59

Es gab eine Zeit da habe ich mich nur verletzt. Jeden verdammten Tag. Ich konnte gar nicht mehr ohne leben. Es war wie eine Sucht. Ich weiß überhaupt nicht wie es eigentlich angefangen hat. Als ich in der Psychiatrie war, da fragte mich die Psychologin, warum ich es tuen würde. Ich saß einfach nur da und überlegt - ich überlege bis heute. Die Frage, warum ich es immer wieder tat, habe ich bis heute nicht herausfinden können. Ich habe viele Bücher über SVV gelesen, Reportagen gesehen, Menschen kennengelernt, die es auch tun... aber ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass es bereits sehr früh anfing... als ich klein war, da bin ich immer hingefallen und habe mir kleine Schürfwunden an den armen zugezogen. Immer wieder bin ich hingefallen. Ist ja an sich nichts schlimmes, wenn man klein ist und die Welt für sich entdeckt. Aber ich habe die Wunden, wenn sich Schorf darauf gebildet hatte, immer aufgekratzt. Immer und immer wieder. Ich liebte das Gefühl, das Gefühl, wenn sich der Schorf von der Wunde löste. Und irgendwann hatte ich so viele kleine Wunden, dass es immer mehr zum aufkratzen gab. Meine Mutter hat mir dann immer die Arme eingerieben und verbunden - das waren die einzigen Momente, in denen sie mit mir nie zu schimpfen schien. Und das war sehr schön. Besonders, weil meine 4 Jahre jüngere Schwester immer von ihr die ganze Aufmerksamkeit bekam. Irgendwann hörte es auf. Es war wie eine Pause... dann wurde ich älter und als ich 12 war, wurde mir das erste mal so richtig bewusst, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich war in der 6. Klasse und war in der Ganztagsschule und Mittags, saßen wir mit unseren Freunden am Essenstisch. Ich trug einen Pulli, wie immer und plötzlich fragte mich die eine, warum ich immer einen Pullover tragen würde. Und als ich gerade überlegte, was ich darauf antworten sollte, sagte sie "Bestimmt wegen deinen Narben an den Armen oder?" Diesen Moment werde ich nie vergessen. Der hat mich mein ganzes Leben lang geprägt. Seit dem Tag habe ich nur noch Pullover getragen, weil ich mich schämte. Irgendwann, da kam der Moment, da habe ich ein Messer genommen, ich weiß nicht mehr warum. Ich weiß nur noch, dass ich es an den Arm setzte und ganz schnell schnitt. Einfach so. Ich weiß die Gründe nicht mehr. Und das war nicht das letzte mal. Ich ritze mich aus Angst, aus Verzweiflung, weil ich alleine war, weil ich meine Mutter strafen wollte... und irgendwann konnte ich nicht mehr ohne. Ich brauchte plötzlich keinen Grund mehr, es geschah einfach. Ich wurde älter und älter und meine sozialen Kontakte und alles zwischenmenschliche war am Arsch. Freunde? Hatte ich nie wirklich welche. Dafür war ich einfach zu anders. Aber das war mir egal. Hauptsache keiner bekam mein kleines Geheimnis mit. Mit 18 bekam ich mich dann unter Kontrolle. Ich ritze mich nicht mehr. Ich machte Schule, wollte Abi machen. Trug aber immer noch Pullover. Alle anderen in meinem Alter waren hübsch, beliebt, gesund. Ich war allein, unbeliebt und krank. Aber ich fand mich damit ab. Es blieb mir ja keine Wahl. Alle anderen trugen Röcke, Tops.. hatten Beziehungen..und ich? Ich war allein. Immer nur allein. Dann irgendwann kam der Punkt da war mir es egal was geschah. Es war doch eh alles egal. ich verletzte mich wieder, fing ganz kontrolliert damit an. ich ritze mich, wenn ich nach hause kam. Einfach so. Ich hatte keine Gründe mehr dafür. Es würde mich eh keiner mögen, auch wenn ich damit aufhören würde. Die Selbstverletzung ist für mich wie ein Freund, wie ein fester Teil von mir, der mich jeden tag begleitet und mich manchmal auch glücklich zu machen scheint. So verging die Zeit. Heute tue ich es nicht mehr. Weil ich keine Narben mehr will. Weil ich ein halbwegs anständiges Leben führen möchte. Aber ich kämpfe jeden Tag mit dem Verlangen an. Ich habe zwar heute mal wieder die Schlacht gewonnen, aber den Kampf - den noch lange nicht.
Jessy
 

Re: Wie fing es an?

Beitragvon GLaDOS » Mo. 21.01.2013, 10:05

Hi Jessy,

Jessy hat geschrieben:Und irgendwann hatte ich so viele kleine Wunden, dass es immer mehr zum aufkratzen gab. Meine Mutter hat mir dann immer die Arme eingerieben und verbunden - das waren die einzigen Momente, in denen sie mit mir nie zu schimpfen schien. Und das war sehr schön. Besonders, weil meine 4 Jahre jüngere Schwester immer von ihr die ganze Aufmerksamkeit bekam.
Ich habe als Kind auch immer versucht die Aufmerksamkeit meiner Eltern zu bekommen, und dabei hab ich mich meist (unbeswusst) daneben benommen. Weil ich wusste so beachten sie mich, auch wenn es mit negativ war. Das hat sich dann mein Leben lang durchgezogen. Wenn ich mich nicht korrekt verhalte bekomme ich negative Aufmerksamkeit, und das ist doch besser als gar keine...oder :?:

Aufmerksamkeit hab ich immer für etwas böses gehalten, aber jeder Mensch braucht ein gewisses Maß davon, wenn nicht sucht man sich eben Weg diese zu bekommen.

Heute weiß ich das es absolut nicht gesund für mich war, und auch nicht Normalität, aber die Verknüpfung war schon so früher in der Kindheit gemacht, dass man A: es selber gar nicht als etwas schlechtes betrachtet, und B: es eine lange Zeit dauert um dieses Denkmuster zu durchbrechen.

Lieben Gruß...
GLaDOS
 


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