"Gut siehst Du aus!!!"

[Solveigh25]

Hallo zusammen, kennt ihr die Erfahrung, dass ihr in einer richtig schwierigen Phase seit, euch besch... fühlt und die Leute, denen ihr begegnet, sagen: "Ah, gut siehst du aus / sehen Sie aus!", "IHnen / Dir geht's aber gut, das sieht man!"??? Kennt ihr das Gefühl der Einsamkeit, weil offensichtlich euer kleines Ich, das Hilfe will und "hallo, wer kümmert sich?" schreit, von keiner Menschenseele gesehen wird? Mir passiert das ständig. Offensichtlich ist mein festgefrorenes Lächeln so einnehmend, dass alle mir immer zujubeln, wie gut es mir doch geht!

[planb]

Das sind Floskeln bzw. Ausdruck, dass sich derjenige freut, dich zu sehen. Nicht so wichtig. Gut wären echte Freunde, denen man ungeschminckt mitteilen kann, wie es einem geht. So seh ich das.

[senta]

ich kenn das auch,
in der Schulzeit noch wußte ich nicht, was ich machen sollte,
konnte halt nicht von mir erzählen,
dann habe ich das Essen verweigert,
ich habe gedacht, wenn ich jetzt hier zusammenklappe,
wenn es jeder sieht!, daß etwas nicht in Ordnung ist,
dann wird mir meine Mutter doch wohl helfen, sich interessieren,
das war ein gewagtes Spiel,
ich habs auch verloren

[Mulle]

na meistens habe ich nicht solche feststellungsirrtümer erlebt. wenn es mir nicht gut geht sieht man mir das problemlos an und meist wurde ich gefragt obs mir nicht gut geht.
scheinbar reflektiere ich das nach aussen hin ausreichend. ansonsten gibts ein"schön dich zu sehen". oder auch nicht.

[kratzetatze]

Mir sieht man überhaupt nicht an, wenn es mir schlecht geht. Das heißt, man sieht es irgendwann schon, wenn es richtig schlecht ist, und ich bereits in die Psychose abdrifte oder mich mitten drin befinde. Wenn es noch nicht so weit ist, hat es für mich bereits keinen Sinn mehr, es irgendjemandem zu verklicken, bringt eje nichts. Ich werde dann eher als hypohondrisch oder hysterisch abgestempelt.

Ich fühle mich dann wie in einem unsichtbaren Käfig. Und dieser Käfig ist meine Krankheit und meine Beschwerden sind die Stäbe. Die Leute draußen versuchen mir zu erklären, wie gut es mir doch gehe, obwohl ich am liebsten tot sein würde. Und bewundern es, wie gut ich zurecht komme, und in meinem Inneren herrscht das Chaos.

Es gibt selbst unter den Menschen, die mich sehr gut kennen, nur wenige, die merken, wie es mir in Wirklichkeit geht. Ich schaffe es nach Außen den Anschein zu bewahren, dass es irgendwie funktioniert. Und diese Maske scheint an meinem Gesicht fest angewachsen zu sein.

[Solveigh25]

Genauso ist es bei mir auch, kratzetatze. Es ist nicht so, dass ich keine Freunde hätte, denen ich nicht sagen könnte, dass es mir nicht gut geht. Da liegt gar nicht das Problem, PlanB. Das Problem liegt dort, dass es mir oft richtig dreckig geht und ich dissoziiert und in Angstzuständen bin und jemand freudestrahlend sagt: "Ach, gut siehst Du aus, dir geht's aber gut!" - Das macht sooo eine riesige Einsamkeit! Und ich mache es irgendwie auch wie Senta als Jugendliche; die Essstörung als Hinweis, dass es nicht so rosig ist. Letztlich muss ich für mich selbst sorgen, das weiß ich, aber irgendwo sitzt eine kleine Solveigh und will, dass sich ENDLICH JEMAND KÜMMERT! Das ist der Haken. Ich bin nicht mehr weit von der 40 entfernt, es wird keine Mama mehr kommen, die sich kümmert! Aber das mal der kleinen Solveigh verklickern!
Jedenfalls, kratzetatze, hast Du meinen Zustand sehr schön beschrieben, so geht es mir auch.

[kratzetatze]

Komisch, meine Mutter kümmerte sich. Mein erster Zusammenbruch geschah nicht nach der Scheidung, so sehr es nahe liegen würde, sondern prompt nach Mutters Tod. Auch wenn dieser keineswegs die Ursache für meine Krankheit ist, so ist er auf jeden Fall der Auslöser gewesen.

Ich glaub, meine Mutter war die einzige, die sofort und ohne Erklärungen oder Bitten gesehen hat, wenn es mir mal dreckig ging.

[Roni]

ein sehr interessantes thema. es ist immer wieder zu beobachten wo sich einige menschen treffen, jeder fragt wie es jedem anderen geht und jeder sagt gut. alle machen einen freundlichen eindruck und dann wird geplaudert über die schlagzeilen in der weltpresse und natürlich über die, welche gerade nicht da sind. hab das ewigkeiten lang nicht verstanden und es dann doch genauso wie alle anderen gemacht, will ja nicht immer voll daneben sein, was ich soundso bei jeder bietenden gelegenheit bin. sehr komisch.

[Solveigh25]

Ich bin seit Jahren dazu übergegangen, nicht mehr "gut" zu sagen, wenn es mir nicht gut geht! Vielleicht schreckt das die Leute auch manchmal zurück. Meine Eltern fragen mich gar nicht mehr, wie es mir geht, sondern texten mich am besten gleich mit ihren Erlebnissen (sie sind unglaublich aktiv und ständig auf Achse) zu. Ich glaube, sie haben Angst, dass ich sage, es geht mir schlecht, denn dann, so haben sie Angst, müssten sie sich ja kümmern oder sind hilflos oder was weiß ich. Jedenfalls irritiert das einige Menschen, wenn man sagt, "mir geht's schlecht" oder, was ich oft sage, "ich hoffe noch auf Besserung", oder so. Jedenfalls das "gut" sage ich nur, wenn es stimmt. Und Smalltalk führe ich auch nicht mehr. HALLO LEUTE, mir ist es piep-egal wie das WETTER ist!!! Ich freue mich über Regen, nein, ich rege mich nicht über den kalten Mai auf, nein, ich genieße den Wind und die frische Luft! Lasst mich doch mit eurem Wetter zufrieden! Uffz. Tja, vielleicht kein Wunder, wenn die Leute nur noch "ach, gut siehst Du aus..." entgegenschallen und mir damit den Wind aus den Segeln nehmen? Weiß nicht. So richtig sozial kommunikativ bin ich offensichtlich nicht mehr, weil mich 90% der Gespräche nerven.

[nera]

ich kenne das auch so wie ihr das schreibt. smalltalk ist für mich zur zeit schwer...keine lust. die leute fragen immer wie es mir geht...ich sage nur "der normale wahnsinn halt".
wenn ich zb. mit bekannten unterwegs bin und ich mich für kurze zeit nicht fröhlich zeige dann die frage "was ist los?"...nichts. mein umfeld ist es von mir gewohnt das ich fröhlich bin und immer lache aber das ist eine art schutz um meine wahren gefühle zu überdecken. so habe ich das immer gemacht.
muß man immer konversation führen? ok bei leuten die mich nicht so gut kennen habe ich sowieso ein anderes ICH. schwierig finde ich immer die frage "hast du schon arbeit gefunden?" oder "warum bist du zur zeit zu hause?" ich sage dann immer ich habe mir eine auszeit genommen weil ich immer gearbeitet habe. aber mir ist das eigendlich unangenehm.
bei mir merken nur eine handvoll leute wie es mir wirklich geht. alle anderen kann ich ganz gut täuschen.

[Solveigh25]

Ein schwieriges Thema, Nera, das mit der Arbeit! Ich zögere auf die Nachfrage, "und was machen Sie beruflich?", ob ich sagen soll "bin seit 7 Jahren psychisch-kranke Rentnerin" oder ob ich sagen soll "bin für Haus und Familie da und halte meinem Mann den Rücken frei" (quackquack, so hätte man in den 50er Jahren geantwortet) oder ich erfinde irgendwelche Stories, was ich alles tue. Also, damit habe ich wirklich noch ein Problem! Noch dazu komme ich aus einer Familie, in der MAN nicht krank ist und MAN sich ZUSAMMENREISST und PSYCHE gibt's sowieso nicht, wenn schon, dann ein richtiger Herzinfarkt - das wäre vielleicht mal eine Ausrede, aber Psyche???!!!

[nera]

ja in so einer familie bin ich auch aufgewachsen...ausser mein schwager und ich haben noch nie familienmitglieder psychologen oder therapeuten aufgesucht. am schwersten tut sich mein vater damit meine mutter versucht zu verstehen...*tief seuftz