Wenn Amoklauf droht

Hier geht's um jede Form von zwischenmenschlichen Beziehungen, also um Liebe(skummer) und Partnerschaft (auch Sexualität), um Freunde, Bekannte, Angehörige und andere soziale Kontakte in Eurem Umfeld.

Wenn Amoklauf droht

Beitragvon HilfloseMutter » Di. 28.05.2013, 10:54

Guten Tag,

mir fällt das hier total schwer, dieses Thema anzuschneiden, fühle mich derart überrannt damit. Habe jetzt lange nach geeigneten Antworten gesucht, aber auch im Netz nichts gefunden.

Mein Sohn ist 16 und wollte Amok laufen. Es brach für uns alle wirklich eine Welt zusammen.

Mein Sohn besucht ein Sprachheilinternat, war dort die letzten Monate mehr als unglücklich, wurde auch arg bedrängt von mehreren Mädchen, was er nicht wollte. Er zog sich immer mehr zurück. Anfangs dachte ich erst, er nimmt Drogen. Hab mit den Betreuern und Pädagogen, auch mit dem anwesenden Psychologen gesprochen, immer wieder. Er verändert sich, er wird immer ruhiger und aggressiver. Er war 14tägig im Internat und durfte uns dann ein Wochenende immer zu hause besuchen, so benenn ich es mal. Es wurde immer schlimmer, ich kam wirklich nicht mehr an ihn heran. Er wollte nicht mehr reden, aber wenn er über das Internat gesprochen hat, wurde er sichtlich nervös und fing an zu zittern. Ihm fehle da der Abstand, die Ruhe. Ihn nerve alles massiv.

Vor lauter Kummer, weil ich mich nicht ernstgenommen fühlte von dem Psychologen, der mir immer nur sagt, ich solle strenger zu ihm sein, mehr Grenzen aufzeigen, ihn nicht mehr unterstützen, bin ich zur Erziehungsberatung hier vor Ort. Dort nahm mich schon wahr, aber es war zu spät.

Ein Dienstag im April...ihr Sohn hat an eine Mitschülerin eine MMS verschickt. Mit Bildern von einer Softairwaffe, die er sich gekauft hat. Er hat auch detailliert über Kopfschüsse geschrieben.

Seine Erklärung, er wollte nur Angst verbreiten. Er will der Böse sein. Dabei ist er wirklich ein toller junger Mann, ich weiss nicht wirklich was die letzten Wochen da geschehen ist.

Er hat die MMS verschickt und ist zur Schule, ganz normal. Die Waffe lag unter seinem Bett im Internat. Der Pädagoge hat meinen Sohn zu sich ins Büro geholt und ihn befragt, dann kam die Polizei und hat ihn verhört und durchsucht. Waffe wurde sichergestellt.

Mein Sohn war sichtlich geschockt von dem Ganzen, er hat, in seinen Augen nur die MMS verschickt, es war ein Rollenspiel für ihn. Das Mädchen, was die MMS empfangen hat, hat ihn immer wieder gefragt und er konnte dann nicht aufhören. Aber, er hat die Waffe nicht mitgenommen, weil er es nie tun wolle, es war für ihn nur ein Schreiben und Gedankenaustausch.

Natürlich sind alle geschockt, die davon erfahren haben. Mein Sohn verkriecht sich, er wurde suspendiert. Die Klassenkonferenz war furchtbar. Wir saßen in der Mitte des Raumes. Am Anfang alles gut und normal, dann mussten wir raus und dann wurde ich nur noch als Rabenmutter dargestellt.

Ich versteh die Welt nicht mehr. Dabei bin ich schon eine Mutter die immer zuhört und auch rennt und macht. Ist das ein Fehler? Was habe ich falsch gemacht? Mehr als daraufhinweisen konnte ich nicht und sagen, ich hole ihn da erstmal raus.

An dem Tag hat man nichts unternommen, ich habe dann händeringend eine Psychiatrie gesucht, die erstmal aufnimmt und schaut, ob er wirklich ein Amokläufer ist oder wäre. Er war 5 Tage in der Psychiatrie, bekommt jetzt ambulante Therapie. Fremdgefährdung liegt nicht vor, aber wohl eine Depression und unterdrückte Aggressionen. Wir sind da dran.

Habe jetzt viel über Amokläufe und mögliche Ursachen gelesen. Es gibt Angebote für Opfer, aber für Angehörige der Täter leider nichts.

Was soll man als Mutter tun, wenn das Kind immer weiter abrutscht. So wie der Psychologe, noch mehr Strafen und Maßregelungen, alles wegnehmen was das Kind hat. Taschengeld, Handy und und und?

Mein Sohn ist 16, sehr sorgsam, sauber, mitfühlend und ein sehr sorgsamer grosser Bruder. Er hasst die Schule, er möchte lieber arbeiten.

Jetzt ist alles schon ein paar Wochen her und ich komme immer mehr in den Strudel, was ist los mit ihm, wo habe ich versagt. Die Klassenkonferenz hat mir derart zugesetzt und fühle mich furchtbar, wie eine Rabenmutter, die sich nicht um ihren Sohn kümmern würde.

Geht es anderen Eltern ähnlich, was kann ich noch tun, um meinem Sohn helfen zu können?
HilfloseMutter
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon GLaDOS » Di. 28.05.2013, 14:55

Hallo HilfloseMutter,

und herzlich Willkommen bei uns.

Das ist ja ziemlich heftig, was da passiert ist. Weiß da auch gerade nicht was ich sagen soll.

Wenn schon die Schuldfrage im Raum steht dann hat diese wohl nur dein Sohn, weil er ohne an die Konsequenzen zu denken eine solche MMS verschickt hat.

Darf ich fragen warum ihr ihn nicht von der Schule genommen habt, wenn er so unglücklich dort war, und das Personal dort mit der Zeit auch nicht mehr helfen wollte? Ist er jetzt in einer anderen Schule?

Dein Sohn ist ja in ambulanter Betreuung, dass wird ihm hoffentlich helfen, geschehenes zu verarbeiten, und er lernt das solche Handlungen Reaktionen hervorrufen, die nicht so angenehmen sind.

Würde dir vielleicht auch eine Therapie helfen, um über dich zu reden? Da hat sich ja einiges aufgestaut. Möglicherweise auch eine Familientherapie, oder Beratung.

Denke es ist für jedes Kind wichtig Grenzen aufgezeigt zu bekomme, dass bedeutet auch nichts negatives. Kinder die Grenzen kennen, wissen was sie bei bestimmten Handlungen zu erwarten haben, und müssen nicht unsicher sein. Wichtig ist Konsequent, aber das bedeutet nicht gleichzeitig streng sein zu müssen.

Ich (persönlich) würde mir Hilfe holen, damit das Ganze nicht noch mehr aus meinen Händen gleitet.

Kopf hoch, und lieben Gruss...
GLaDOS
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon senta » Di. 28.05.2013, 15:13

also erstmal finde ich es gut und richtig, dass nach der angesprochenen MMS so direkt eingeschritten wurde, durch die Schule und die Polizei,
denn ehrlich gesagt ist es mir lieber, es wird einmal zu viel als einmal zu wenig interveniert!
Das Wichtigste ist, dass eine Gefährdung anderer Schüler oder irgendwelcher Personen möglichst verhindert wird!

Es ist auch gut, dass dein Sohn merkt, dass das ganz schnell geht, wenn er sich so äußert, das ist schon mal eine ganz wichtige Grenze für ihn, ein ganz wichtiges Signal!

ich denke auch für dich wäre eine Therapie gut, bei einem Therapeuten, der sich auf diesem Gebiet gut auskennt!

hier ein link, hier bekommst du mit Sicherheit kompetente Auskunft:
http://berliner-et.de/
senta
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon Atisha » Di. 28.05.2013, 22:14

Hallo,
ich denke du hast nix falsch gemacht, immer mehr Grenzen und Verbote sind auch Käse. Ich sehe in deinem Sohn einen verspielten, empfindsamen Menschen. Er trifft auf ein wirklich hartes Leben, das geht schon in der Schule los, Leben heißt nur noch geistig und seelische absterben zu müssen und dagegen wehrt er sich auf seine Art. Andere reagieren anders, schließen sich einer Jugendgruppe an ...
Dein Sohn braucht mehr Menschlichkeit und Liebe und Raum für seine individuelle Entfaltung. Weg von der gesellschaftlichen Leistungsselektierung hin zu mehr Lebenssinn mit Schönheit, Frieden, Ästhetik und künstlerischem Schaffen
Atisha
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon EwigeMutter » Di. 28.05.2013, 23:15

Eine schöne Antwort,Atisha....aber leider in unserer kalten und materiell ausgerichteten Welt nicht komplett durchführbar,wenn man nicht gerade Millionär ist (meine Meinung).

Hilflose Mutter: Ich kann Dir nicht raten....ich bin selbst eine hilflose Mutter,wenn auch wegen anderer Probleme.
Die Ursachen für die aufgestauten Aggressionen liegen oft in Überforderung,mangelnder Anerkennung (auch durch Freunde,Lehrer,Mitschüler),Mobbing und der allgemein sehr asozialen Umwelt heutzutage.
Die Zukunft sieht für viele junge Menschen heute nur noch düster aus.
Deinem Sohn wird ja jetzt duch die Therapie wenigstens etwas geholfen.....das Leben ist in der Pubertät ,-glaube ich-, am grausamsten zu einem....erwachsen werden ist schon schwierig genug,- wenn dann noch spezielle Probleme in der Schule oder mit Freunden dazukommen,machen sich einige durch Gewalt oder Gewaltphantasien "Luft".
Es ist natürlich schlimm,was passiert ist,- allein die Androhung solch einer Tat ist ja ein aggressiver Akt gegen die Mitmenschen.
Du aber solltest Dir nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen,-
ich gehe mal davon aus,das Du was die Erziehung angeht, dein Bestes gegeben hast.Mehr geht nicht...
Ich hab mich auch immer gefragt,was ich falsch gemacht habe und mir damit viele schlaflose,tränenreiche Nächte beschert.
Es nützt aber nichts....manche Dinge geschehen ohne unser Zutun und man muss damit leben.
Ich wünsche Dir und Deinem Sohn,das sich noch alles zum Guten wendet.
EwigeMutter
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon HilfloseMutter » Mi. 29.05.2013, 11:40

Wir haben gefragt, er besuchte doch schon ein Internat, wo er besser gefördert wird. Habe im Dezember die Veränderung bemerkt und nachgefragt, was jetzt ratsam wäre. Innerlich ja, ich hole ihn da raus, aber ich habe mich zu sehr auf den Psychologen da verlassen..., was ich heute wirklich etwas kritisch betrachte.

Ich versteh aber auch nicht, warum der Klassenlehrer, wenn es schon so bekannt war, nicht den Sozialarbeiter informiert hat, warum wurde mir denn nicht zugehört und es wurde anders gehandelt. Ich weiss, man soll dann nicht ständig nach dem Warum und Wieso suchen, dennoch, es hätte verhindert werden können, laut dem ersten Psychiater, der ihn dann aufgenommen hat.

An dem Tag wollte mir niemand zuhören, auch das Internat hat Vorstellung bei einem Arzt abgelehnt, ich habe ihn dann aus dem Internat geholt und hier in Niedersachsen Psychiatrische Klinik gesucht, die Jugendliche aufnehmen. Das hat 6 Stunden gedauert. Der Oberarzt hat mich dann gefragt, warum nichts von Seiten des Internates unternommen wurde, wenn er offen immer wieder gesagt hat, es geht so nicht. Mein Sohn hat sich schon klar geäussert, und dann ist er still geworden.

Wir sind keine Familie die vor der Kiste hockt, wir sind viel im Garten, auch unterwegs und schauen uns gern Städte an, mein Sohn liebt basteln, an allem was er findet. Wir kuscheln alle gern auf der Couch, einfach zusammen liegen und mal Seele baumeln lassen. Was ich lernen musste war, ihn mehr loszulassen, ihn mehr seinen Weg lassen. Bin schon ne Gluckenmutter gewesen. Für das Internat hat er sich selbst entschieden, um besser und freier reden zu können. Der Sprachfehler ist auch gut behoben. Bis auf das Bedrängen, was er nicht mochte und heute noch wirklich anfängt zu zittern, wenn er über die beiden Mädchen spricht. Er wollte nicht angefasst werden, er wollte nicht, dass sie ihm ständig hinterher rennen und sie ständig seine Sachen wegnehmen, ihn wirklich bedrängen. Wir haben das Problem da besprochen, es wurde auch für eine Zeit besser. Womit sollte ich ihn denn noch härter bestrafen??

Darauf habe ich keine Antwort bekommen, wenn er schon sagt, ich kann das nicht mehr und will auch mal meine Ruhe, Abstand und nicht ständig begrabscht werden. Es sind Dinge die nach und nach klarer werden, und die Fragen im Kopf, wenn schon Betreuer, Sozialpädagogen dort sind, auch ein Psychologe, warum hört man nicht auf die Eltern? Herausholen geht da nicht so einfach, es wird über das Sozialamt und Krankenkasse finanziert. Habe da natürlich nachgefragt, ob vorzeitige Beendigung möglich ist, da er sich dort so eingeengt fühlt, um es mal so zu sagen. Daraufhin wurden ja Gespräche mit den Mädchen auch gesucht.

Thema Schule. So einfach ist es für mich mittlerweile nicht mehr. Ja, er hat diese MMS geschickt, nichts weiter. Ja, er hat damit den Schulfrieden gestört. Auf die Nachfrage unsere Anwaltes, ob es Anzeichen der Veränderung gab, wurde im Schreiben mit Nein beantwortet, in der Klassenkonferenz allerdings mit Ja. Und das ich schuld daran sei. Ich habe an dem Tag und danach alles eingeschaltet, was ich hier einschalten konnte, daraufhin habe ich wirklich böse Worte der Rektorin und des Klassenlehrers bekommen.

Was hätte ich denn tun sollen, alles so belassen?

Es sind so viele Frage und auch massive Enttäuschung. Wir sind schon eine Familie die wirklich zuhört und auch rennt und macht, ist genau das verkehrt? Der grösste Witz für mich ist...ich studiere selbst Psychologie an einer Uni und versteh die Welt nicht mehr. Ja, es trifft es, ich fühle mich hilflos.

Gespräche mit Klassenkameraden ergab, es gibt viele unglückliche Mädchen und Jungen in der Klasse, nur hört ihnen niemand zu. 2 Mädchen nehmen schon Antidepressive, ein Junge eine angstlösendes Medikament.

Die Gesellschaft kann man hier wahrlich nicht zur Verantwortung ziehen. Höre in mich hinein und weiss einfach nicht weiter.

Sorry, wenn hier alles durcheinander geht, aber so sieht es in meinem Kopf aus. Therapie für mich, ist fast nicht machbar, die Termine sind so arg begrenzt, im Moment Wartezeit von 7 Monaten. Habe mir auch schon überlegt das STudium saussen zu lassen, wenn ich meinen Sohn schon nicht helfen kann, wie soll ich dann anderen helfen?
HilfloseMutter
 

Re: Wenn Amoklauf droht

Beitragvon EwigeMutter » Do. 30.05.2013, 17:04

Ach Du liebe Sch.... pardon,aber das wirft doch ein anderes Licht auf alles,was da passiert ist.
Da muss ich erstmal etwas drüber nachdenken.
Es gibt auch ein Zuviel an Fürsorge und Beobachtung.
EwigeMutter
 


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