Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

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Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Lavendel » Fr. 08.01.2016, 17:55

Hallo liebe Community,

Ich wollte einfach mal ein Problem in den Raum werfen, das ich schon lange habe und keine Stragtegien "dagegen" finde oder entwickeln kann:

Das vor sich selbst davonlaufen.

Ich glaube, einige hier kennen das Problem, dass man, anstatt sich mit sich selber auseinanderzusetzen, sich sozusagen in ein Nichts stürzt, aus Konsum, Arbeit, Hobby, was auch immer...also ich meine den Prozess, sich selbst auch mit den eigenen Abgründen und der Negativität, aber auch mit allem Postiven (manche Menschen machen sich ja auch kleiner als sie sind) kennenzulernen und auf dieser Basis der Selbsterkenntnis, des Selbstbewusstseins weiterzuentwickeln.

Ich laufe gefühlt auf der Stelle (obwohl ich von anderen höre, dem sei nicht so, aber das nehme ich irgendwie nicht wahr), scheitere immer wieder an denselben Punkten, entwickle mich auch gefühlt seit Ewigkeiten nicht weiter, bin entweder am tun und machen oder am verstecken und verkriechen, aber ich komme irgendwie auf keinen grünen Zweig damit. Ich häufe Wissen an ohne dass es mir wirklich wichtig ist, oder ich es sinnvoll nutzen kann, fühle mich wie eine Mischung aus dauertagträumendem Eichhörnchen und feuerspeiendem Drachen und bin im Zwischenmenschlichen meist bei den anderen und nicht bei mir, weil ich mich selber so furchtbar finde, aber auch nicht damit klarkomme, dass ich mich so furchtbar finde und auch immer wieder versuche zu verbergen, dass ich mich furchtbar finde, was dann wieder dazu führt, dass ich mir einrede ganz toll zu sein, was aber irgendwie auch nicht stimmt. Also ich hüpfe quasi auf meinem Lebensbaum unkoordiniert von Ast zu Ast und würde gern mal wissen, wie dieser Baum eigentlich aussieht, grade eben und so als ganzes. Und was ich für ein Verhältnis zu mir selber habe und wer ich eigentlich bin, ach und überhaupt...

Kann jemand was damit anfangen? Oder ist das jetzt irgendwie zu konfus?

Allerliebste Lavendelgrüße
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Tina » Fr. 08.01.2016, 18:29

.
Liebe Lavendel :)

Es gab in meinem Leben sicherlich auch mal ne Zeit, da hätte ich vor mir selber weglaufen wollen.
Ist aber viele Jahre her.
Manchmal bin ich auch weg gelaufen.... je weiter ich mich von meinem Wohnort entfernt haben, desto besser gings mir.... obwohl "besser" ist nicht der richtige Ausdruck... weniger schlecht.
Aber man muss ja auch wieder zurück.

Aber Du meinst wahrscheinlich auch was anderes, sich selbst besser aushalten.... mit sich zufrieden sein.

Ich muss Dir leider sagen... ich weiss es nicht.... es kam irgendwie... mit der Zeit.
Heute bin ich gelassen... und relativ zufrieden.

Aber ein *ich versteh Dich* und ein :freunde: dalass.
.
Tina
 

Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon cats47 » Fr. 08.01.2016, 18:57

Vor sich selber weglaufen das kenne ich sehr gut.
Ich ertrage das Alleinsein nicht, kann nichts mit mir anfangen, mich
nicht beschäftigen. Möchte gar nicht bei mir ankommen.
Wenn ich mich nicht ständig ablenke mit Unternehmungen,Essen,
Kauforgien habe ich das Gefühl verrückt zu werden.
Einfach nur bei mir sein ist ein unerträglicher Zustand für mich.
Schon 5 Minuten ruhig dazusitzen und nichts zu tun fällt mir schwer.
Ich habe mir jetzt vorgenommen mich ganz langsam,in kleinen
Dosen,daran zu gewöhnen die Leere auszuhalten.
Das ich dieses Gefühl überleben kann.
Und das danach noch etwas kommt.
Schwierig,seufz.
cats47
 

Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Carmen » Sa. 09.01.2016, 10:29

Ich hatte auch so eine Zeit. Wo ich nur unterwegs war, immer was zu tun, bloss keine ruhige Minute. Viel Alkohol und SVV in der Zeit. Bei mir hats irgendwann mit dem ganz grossen Krach geendet und alles kam nach oben.

Ich würde dir raten, es ein wenig wie cats zu probieren. Probier es mit 5 Min alleine, überlege wovor du weg läufst und zu was für deinen Selbstwert, das wirkt manchmal Wunder.

Ansonsten... Im Moment habe ich das Gefühl ich komme weiter. Irgendetwas mache ich richtig, aber was weiss ich auch nicht.

Alles Liebe
Carmen
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Schmetterling » Sa. 09.01.2016, 16:12

Vielleicht können dir Foucaults „Technologien des Selbst“ in deiner Frage etwas weiterhelfen...

Michel Foucault beschäftigte sich in seinen letzten Lebensjahren mit verschiedenen Techniken, die bis in die Antike zurückgehen und die das Subjekt dazu befähigen sollen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Anhand verschiedener Techniken und Praktiken soll das Subjekt sich selbst und sein Verhalten gegenüber der Umwelt überprüfen, eigene Potentiale erkennen und einen ethisch – moralischen Lebensstil entwickeln, der die Ausarbeitung der eigenen Seele beabsichtigt. Grundvoraussetzung hierfür ist die Einteilung der eigenen Zeit. Das Individuum soll sich eigene Freiräume schaffen, damit es sich vollends mit sich selbst beschäftigen kann. Der Rückzug ins Private bedeutet für Foucault keine Empfindungen mehr zu haben, nicht mehr bewegt zu werden durch das, was einen umgibt und um einen herum geschieht, so zu tun, als ob man nichts mehr sieht. Wenn dieser Freiraum geschaffen wurde, kann sich das Individuum auf die elementaren Technologien des Selbst konzentrieren. Einen besonderen Stellenwert in den Technologien des Selbst haben die asketischen Übungen. Hierbei handelt es sich um eine Reihe von Übungen, die das Subjekt dazu befähigen sollen, sich adäquat auf künftige Zeiten und Schwierigkeiten vorzubereiten. Zentral ist die Ebene der Erfahrung. Durch aktive Abarbeitung an sich selbst, also an dem, was man gerade ist und was einen beschäftigt, entwickelt das Subjekt ein neues Wahrheitsverständnis, was letztlich in Selbstkenntnis mündet. Damit einhergehend praktiziert das Subjekt imaginäre Denkübungen, die es auf unvorhergesehene Situationen vorbereiten sollen. Die Imagination von bestimmten Ereignissen in Zusammenhang mit vorherigen Erkenntnisgewinnen ermöglichen es dem Individuum, sich auf zukünftige reale Lebenssituation besser vorzubereiten. Essentielles Fördermittel in der Auseinandersetzung mit sich selbst ist das Niederschreiben der eigenen Gedanken. Schreiben dient als Form der Selbstreflexion, als Möglichkeit, zu sich selbst in Distanz zu treten und Erfahrungen und Erkenntnisse beim Wiederlesen neu zu reflektieren. Das Schreiben löst einen Lern- und Erfahrungseffekt aus und befördert die Heranbildung des eigenen Selbst. Weitere Technologien des Selbst sind die Traumdeutung und das Praktizieren körperlicher Übungen.

Klingt alles erstmal nach philosophischem Geschwafel, aber wenn du die Gedanken Foucaults weiter verinnerlichst und versuchst, sie in die Praxis umzusetzen, können sie dir in der Auseinandersetzung mit dir selbst sicherlich weiterhelfen. Nachdem meine Beziehung zu Ende ging und ich damit begann mich mit dieser und die vielen anderen Dingen in meinem Leben, kritisch auseinanderzusetzen, fing ich damit an, alles, was mich beschäftigte niederzuschreiben. Der Prozess des „In sich kehrens“ und des Verschriftlichens dieser Gedanken hat mir dabei geholfen, bestimmte Gedanken zu sortieren, zu verinnerlichen und mich letztlich noch weiter damit zu beschäftigen.Während des Schreibens wurde ich Zeuge, wie in mir eine Art Bewusstseinswerdensprozess in Kraft trat. Die Auseinandersetzung mit mir selbst und das Schreiben darüber tat mir ersichtlich gut (auch wenn sich die „inneren Leere“ immer noch bei mir breit macht). Ich vermute, dass ich ohne diesen Prozess wahrscheinlich auch nie den Beitrag hier im Forum zu meiner aktuellen Situation in dieser Form hätte schreiben können. Evtl. werde ich mir zwischendurch noch mal ein paar Tage frei nehmen und mich ausschließlich dieser Tätgikeit widmen. Schließlich ist der Prozess noch lange nicht abgeschlossen.

Probier es ruhig mal aus und nimm dir die Zeit dafür. Wichtig ist, dass du dir einen Ort aussuchst, an dem du zur Ruhe kommen kannst und dich ausschließlich auf das, was dich beschäftigt, konzentrieren kannst. Ich verspreche dir, dass du dir anschließend einiger Dinge besser bewusst sein wirst. Es lohnt sich und ist allemal besser, als vor dir wegzulaufen. Im Idealfall gehst du gestärkt aus dem Prozess heraus.

Falls du dich vorher noch mal intensiver mit den „Technologien des Selbst“ von Foucault auseinandersetzen willst, seien dir u.a. folgende Bücher von Foucault empfohlen:

Ästhetik der Existenz
Hermeneutik des Subjekts
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Lavendel » So. 10.01.2016, 10:34

Danke für den Tipp, lieber Schmetterling, mich mit mir schreibend auseinandersetzen mache ich schon.
Aber ich habe gestern lange über deinen Post nachgedacht und bestimmte "Störfaktoren" gefunden (finde keine richtige Ruhe, bin zu zerstreut grade von der Aufmerksamkeit her etc.) die ich noch ausschalten möchte.
Ausserdem waren einige wichtige Anregungen dabei, die ich bisher beim Schreiben nicht beachtet habe.

Abgesehen davon glaube ich, dass der von dir erwähnte "Prozess" nie abgeschlossen ist, sondern sich in verschiedenen Phasen des Lebens unterschiedlich gestaltet. Was mir mit 20 wichtig war, ist etwas anderes, als mit 30...Lebensthemen ändern sich, allerdings ziehen sich auch einige durch, wie ein roter Faden...

"Ästhtetik der Existenz" erinnert mich spontan an die "Eleganz des igels" von Muriel Barbery, ich weiss nicht ob du das kennst und ob es soviel miteinander zu tun hat, wie ich jetzt intuitiv vermute.

Liebe Carmen, das ist ja die Krux. In dem Zustand in dem ich gerade bin, will ich destruktiv sein und tue mir schwer damit, mir was Gutes zu tun. Aber es freut mich sehr, dass es bei dir grade weitergeht, wirklich :)

Und cats...ja, regelmäßig mal 5 Minuten in sich zu gehen oder mehr bleibt wichtig. Manchmal schaffe ich das, aber eben nur wenn ich die Ruhe dazu habe und die geht mir im Moment sehr ab.
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Schmetterling » Di. 12.01.2016, 17:46

Lavendel hat geschrieben:
Abgesehen davon glaube ich, dass der von dir erwähnte "Prozess" nie abgeschlossen ist, sondern sich in verschiedenen Phasen des Lebens unterschiedlich gestaltet. Was mir mit 20 wichtig war, ist etwas anderes, als mit 30...Lebensthemen ändern sich, allerdings ziehen sich auch einige durch, wie ein roter Faden...


Da muss ich dir Recht geben. Ich habe früher auch schon mal geschrieben, um mich selber besser zu verstehen und wahrscheinlich werde ich es auch in Zukunft wieder tun. Oftmals immer dann, wenn ich mich in kritischen Lebensphasen befand. Andere widerum schreiben jeden Tag, was ich sehr respektiere. Ich könnte das mangels Zeit nicht bzw. bei mir würde nur oberflächliches heraus kommen.

Lavendel hat geschrieben:
"Ästhtetik der Existenz" erinnert mich spontan an die "Eleganz des igels" von Muriel Barbery, ich weiss nicht ob du das kennst und ob es soviel miteinander zu tun hat, wie ich jetzt intuitiv vermute.



Bei ersterem handelt es sich um die Verschriftlichung von Foucaults Lesungen. Letzteres scheint mir ein Roman zu sein. Ich weiß nicht, inwieweit es da Parallelen gibt.

Ist es dir denn inzwischen gelungen, deine "Störfaktoren" auszuschalten?
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Lavendel » Di. 12.01.2016, 19:41

Hallo Schmetterling,

ich schaffe es nicht ohne professionelle Hilfe, habe ich gemerkt. Werde jetzt ab nächsten Dienstag auch wieder in ne Klinik gehen, mal sehen wie lange ich es diesmal aushalte.
Ich denke allein komme ich nicht dahin wo ich hinwill.

Abgesehen davon finde ich in meiner Wohnung keine Ruhe, selbst wenn ich es versuche, da das Haus sehr hellhörig ist und die Nachbarn sehr laut. Das heisst ich muss entweder Musik anmachen oder die Nachbarn ertragen, oder mit Oropax dasitzen, aber wie gesagt, alleine komme ich da grade nicht weiter.

Und der Vergleich der Bücher bezog sich darauf, dass es in philosophischen Büchern ja meistens um Erkenntnis und Lebenskunst geht,letzten Endes einen Weg zu finden, sein Leben zu meistern und sich mit sich und seiner Umwelt auseinanderzusetzen.
Der Roman hat ein ähnliches Thema, es geht um die Freundschaft einer älteren Dame zu einem jungen Mädchen (das sich umbringen möchte). Die ältere Dame lehrt das Mädchen quasi eine Menge über das Leben, über Schein und Wahrheit.

Ich denke da sind schon viele Unterschiede, manchmal sehe ich auch Parallelen, wo keine sind, aber Foucault lehrt ja in letzter Konsequenz auch, wie man einen Weg durch das Leben finden kann.
Es geht bei beiden eben nicht um einen bestimmten Bereich, sondern allgemein um das Leben, und die Kunst es gut zu führen. Und ich finde die Titel ähneln sich...
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Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Schmetterling » Mi. 13.01.2016, 16:52

Vielleicht werde ich das Buch mal lesen.

Dir wünsche ich einen angenehmen Klinikaufenthalt und dass du dort zu entsprechender Ruhe kommst. Kannst ja berichten, wie es war und ob es etwas gebracht hat.
Schmetterling
 

Re: Wie höre ich auf vor mir selbst wegzulaufen?

Beitragvon Lavendel » Do. 14.01.2016, 17:58

Dankeschön Schmetterling.
Ich fand das Buch sehr lesenswert und würde es auch noch einmal lesen. Was mir mit sehr wenigen Büchern so geht.
Wäre nicht ich, wenn ich nicht berichten würde.
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